Zwischenruf zum „Ideenzug City“

Im ehrwürdigen S-Bahn-Werk Schöneweide steht zurzeit inmitten der großen Werkhalle ein S-Bahnzug „aus der Zukunft“ - der sog. „Ideenzug City“. Kein echter Zug, sondern ein Modell in Echtgröße und effektvoll inszeniert. Dort wird er nun Fachleuten und der Öffentlichkeit präsentiert. Wir hatten am vergangenen Samstag zusammen mit anderen verkehrspolitischen Vereinen und Fahrgastverbänden eine Einladung zur Besichtigung. Dafür nochmals herzlichen Dank!

Was soll nun dieses, neudeutsch, Mock-up? Wenn man so will ist es eine Ideensammlung, was im Nahverkehr von morgen aus Kundensicht so gehen könnte. Zum Beispiel eine Fahrzielanzeige, die sich in der gerundeten Fahrzeugfront bei Einfahrt in den Bahnhof zur Seite bewegt und damit besser lesbar ist. Oder eine Auslastungsanzeige, die die einsteigenden Fahrgäste besser verteilen soll. Auch innen gibt es eine Menge Displays bis hin zu „Augmented Reality“ in den Fensterflächen, die z. B. virtuelle Landschaften zeigen könnte (bei manchem Streckenabschnitt inmitten von Lärmschutzwänden vielleicht nicht die schlechteste Idee). Auffällig auch ein variables Beleuchtungskonzept, was zu einer angenehmen Aufenthaltsqualität beitragen soll. Am Tag des Berliner Stadtderbys waren in einer illuminierten Deckenfläche z. B. die Wappen der beiden Berliner Fußball-Bundesligavereine dargestellt. Man mag das für Spielerei halten, zeigt aber, was mit LED- Technologie alles möglich ist. Und gibt es im Konkurrenten des öffentlichen Verkehrs, dem Auto, nicht auch jede Menge elektronische „Spielereien“?

Funktional gibt es auch interessante Ideen: Arbeitsbereiche für Menschen mit Laptop, teils sogar abgeschirmt zum Telefonieren, Stehsitze und normale Bänke, die sich im Berufsverkehr verschieben oder einfahren lassen, um mehr Platz zu schaffen. Variabilität ist also das Stichwort.

Es ist sicher kein Zufall, dass die S-Bahn inmitten wichtiger Ausschreibungsverfahren diesen Ideenzug zeigt (der so natürlich nie auf die Gleise kommen wird). Und Ausschreibung ist das Stichwort. Wenn Sie sich z. B. in einem TALENT II der Baureihe 442 auf ihrem Sitzplatz beengt fühlen. dann ist das in der Systematik des Regionalverkehrs ja nicht die Idee des Eisenbahnverkehrsunternehmens (EVU) den Zug sehr eng zu bestuhlen, sondern die Konfiguration und Ausstattung, die in der Ausschreibung verlangt wurde. Sie müssten also Ihren Protest im Falle Berlin-Brandenburgs an den VBB richten, nicht an das EVU. Und eines lässt sich betriebswirtschaftlich nicht beiseite wischen: Komfort und Platz kosten Geld. Wer schon mal „Business Class“ statt „Holzklasse“ geflogen ist, dem ist dieser Effekt sehr deutlich geworden – im tatsächlichen Platz UND im Portemonnaie.

Nun sind Verkehrsmittel wie Bus, Straßenbahn, S- und U-Bahn auf hohe Kapazitäten hin optimiert. Individuelle Fahrgastbedürfnisse hinsichtlich des Komforts sind jenseits von „Stehen“ und „Sitzen“ eigentlich nicht vorgesehen. Aber: diese Verkehrsmittel konkurrieren mit dem Auto. Und dieses bietet seit Jahren immer mehr Komfort in Form von Platz und technischen Ausstattungen. Deswegen wird es auch immer größer und schwerer. Ein großes SUV wiegt mittlerweile 2,5 Tonnen – leer.

Zugespitzt könnte man formulieren: es konkurrieren 2,5 Tonnen zur Beförderung eines Menschen gegen die drangvolle Enge in einem gut ausgelasteten Massenverkehrsmittel.

Unsere Prognose: da wird es schwierig mit der #Verkehrswende und der deutlichen Reduzierung des Autoverkehrs in den Städten. Wenn man es denn über Angebote regeln möchte.

Vor diesem Hintergrund ist es sicher gut und richtig, sich über Komfortmerkmale Gedanken zu machen und die denkbaren Möglichkeiten auch mal „zum Anfassen“ zu präsentieren. Ein Umdenken braucht es aber bei den Aufgabenträgern! Und dazu Geld, denn: Komfort, auch in Form von Platz, kostet Geld (mehr Züge, mehr Personal, …). Es ist aber auch an den Nutzerinnen und Nutzern, also den Fahrgästen, hier aktiv mehr zu fordern! Mehr Strecken, mehr Züge, mehr Komfort.


Zwischenruf zu 50 Jahre InterCity

Vor fünfzig Jahren, 1971, richtete die damalige Deutsche Bundesbahn ein wegweisendes Fernverkehrssystem ein, den InterCity. Modernes Wagenmaterial, 200 km/h Höchstgeschwindigkeit und Komfort vermittelten ein neues Reisegefühl. Die neue Elektrolokomotive der Baureihe 103 vervollständigte das Bild einer neuen Bahn, die schon damals auf den steigenden Individualverkehr reagieren musste. Aber erst acht Jahre später, 1979, trat der wirkliche Erfolg ein: Taktverkehr, Einführung der 2. Klasse. „Jede Stunde, jede Klasse“ war der passende Slogan. Jahre später kam der InterRegio hinzu, ein ebenfalls im Takt verkehrender schneller Zug, aber eher abseits der Magistralen fahrend und auch kleinere Orte bedienend, sollte er das System ergänzen.

1991 dann die Einführung des ICE – eine Revolution. Ungeahnter Komfort („ein Traum in Pastell“) und Schnelligkeit durch die Nutzung der Neubaustrecken Hannover-Würzburg sowie Mannheim-Stuttgart. Schnell aber auch, weil nicht an „jeder Milchkanne“ gehalten wurde.

„Ich fahre ICE“ wurde, zumal unter Bahnlaien, zu einer Art Statussymbol – es war etwas Besonderes. Die Marke „ICE“ erlangte für die Bahn schnell einen unschätzbaren Wert. Folglich wurden in den Folgejahren weitere Strecken auf ICE umgestellt und die Flotte erweitert: ICE1, ICE2, ICE3 (auch in den Varianten 3M und VELARO), ICE4, ICE-T, ICE-TD (inzwischen ausgemustert) und zukünftig auch ICE-L.

ICE-L? Nun, „L“ steht für „low floor“, also niedrige Fußbodenhöhe. Gemeint sind Züge des spanischen Herstellers Talgo, die dereinst den Sylt-Verkehr und die heutige EC-Linie 77 Berlin-Amsterdam übernehmen sollen. Mit ihnen wird nun erstmals auch ein lokbespannter Wendezug ein ICE sein. Warum denn nicht gleich den IC2 (bis auf die wenigen KISS-Einheiten ebenfalls ein lokbespannnter Doppelstockwendezug) in Anlehnung an den französischen „TGV 2N“ („deux niveaux“/„zwei Etagen“) als „ICE Dosto“ bezeichnen?

Und weil es mit der Marke „ICE“ so gut lief, wurden die alten Wagen auch gleich im ICE-Design lackiert. Böse Zungen sprachen in diesem Zusammenhang von „Lazarettwagen“, denn besonders gelungen wirkt das auf den alten Fahrzeugen bis heute nicht. Nun steht der klassische InterCity („IC1“) kurz vor der Ausmusterung und wir haben in Zukunft „ICE“ und „IC2“. Der „IC2“ soll bei der Fernverkehrsoffensive bis 2030, Stichwort #Verkehrswende, eine neue Rolle spielen: eigentlich die des früheren InterRegio.

Aber wofür steht die Marke „ICE“ heute und zukünftig?

Für „Schnelligkeit“, wenn der ICE auch in so illustren Orten wie Altenbeken, Angermünde, Bad Hersfeld, Bad Kleinen oder Stadtallendorf (Q: Wikipedia) hält? Früher eine Domäne des InterRegio. Hinzu kommt, dass die Marke „ICE“ inzwischen auch für Urlauberzug steht: Lindau und Bregenz, Binz auf Rügen oder Garmisch-Partenkirchen stehen als Ziele dafür. Und zukünftig eben auch Westerland auf Sylt mit dem ICE-L.

Steht die Marke für „besonderen Komfort“? Man tritt der Bahn nicht zu nahe, wenn man feststellt, dass das Komfortversprechen aus den Anfangstagen des ICE mit jeder neuen Zuggeneration etwas weniger eingelöst wurde. Fensterplätze, bei denen man auf eine Wand schaut? Im ICE1 undenkbar, im ICE4 Realität. Die Wagenkästen wurden wieder merklich schmaler, die Sitzabstände deutlich geringer. Betriebswirtschaft bleibt eben Betriebswirtschaft, wenn man die für Komfort notwendigen Preise am Markt (Stichworte: „Billig-Airlines“, „FlixBus“) nicht durchzusetzen vermag.

Vielleicht denkt der eine oder andere Marketing-Spezialist bei der DB im Stillen doch darüber nach, ob es nicht sinnvoll sein könnte, das Produktversprechen, zum Beispiel hinsichtlich des Merkmals „Reisegeschwindigkeit“, in Zukunft wieder ein wenig zu differenzieren?

Ansätze gibt es, zum Beispiel durch die „ICE Sprinter“. Warum nicht auch das Gegenteil: „ICE Regio“? Oder eben doch: „InterCityExpress“ als Premiumangebot und ergänzend „InterCity“ sowie „InterRegio“.

Das Produkt ist eben nicht die „Hardware“, der Zug als solches, das Produkt ist die Dienstleistung „Beförderung von A nach B“. Und die kann hinsichtlich „Komfort“, „Reisegeschwindigkeit“, „Taktangebot“ etc. eben verschieden sein.

Zur Erinnerung: der ICE4 firmierte sehr lange unter dem Projektnamen „ICx“. Man muss ihn ja nicht gleich wieder blau anmalen ….


Zwischenruf zu den laufenden Sondierungsgesprächen

In Berlin und im Bund sondiert die Wahlgewinnerin gerade mit verschiedenen Parteien. Ob es am Ende in Berlin „RGR“, die „Ampel“ (die im Bund gesetzt zu sein scheint) oder gar „Deutschland“ wird, wissen wir nicht. Wenn wir uns aber etwas wünschen dürften, dann wäre es eine Verkehrspolitik, die ….

  • die Verkehrswende nicht nur über Fahrradstreifen, „Elektrifizierung des Autos“, E-Scooter und Car-Sharing definiert, sondern für die selbstverständlich der ÖPNV Rückgrat der Verkehrswende ist.
  • die Mobilitätsformen des Umweltverbunds nicht gegeneinander ausspielt, sondern sinnvoll ergänzt.
  • Mut hat! „Alles soll sich ändern, aber nichts darf sich verändern“ funktioniert nicht. Wenn knapper öffentlicher (Verkehrs-)Raum neu aufgeteilt wird, wird es „Gewinner“ und „Verlierer“ geben. Dies muss moderiert werden. Dies verlangt auch der Bevölkerung einiges ab, nämlich: Gemeinwohl geht vor Eigeninteressen.
  • endlich Entscheidungen zu i2030-Projekten trifft! Denn eines ist klar: 2030 ist bei den meisten Projekten nicht mehr zu schaffen. Leider. Entscheidungen müssen insbesondere fallen zu Spandau-Falkensee, der Potsdamer Stammbahn, aber auch weniger spektakulären Projekten wie zum Beispiel zusätzliche Bahnsteigkanten an der Ringbahn oder kürzere Signalabstände zur Erhöhung der Kapazität.
  • Brandenburger und Berliner Interessen verzahnt. Schließlich bedeuten weniger Pendler-Pkw aus Brandenburg auch mehr Lebensqualität in Berlin. Und mit „Brandenburg“ sind nicht nur die Orte des Speckgürtels gemeint, sondern beispielsweise auch Neuruppin und Ketzin, Orte an der Ostbahn oder Landstriche wie die Prignitz.
  • nicht „U-Bahn“ gegen „Straßenbahn“ stellt, sondern nüchtern überlegt, wo welches Verkehrsmittel seine jeweiligen Stärken und Schwächen hat und wie die knappen Mittel am Nutzbringendsten eingesetzt werden können. Beispiel: Sicher sind die Mittel für die westliche U7-Verlängerung effizienter für ein flächendeckendes Spandauer Straßenbahnnetz einsetzbar. Dies gilt umgekehrt auch für sinnvolle U-Bahn-Verlängerungen (Pankow, Lankwitz, …?).
  • auch jenseits i2030 Entscheidungen im Sinne der Fahrgäste trifft. Zum Beispiel die wenig aufwendige Verlängerung der U3 zum S-Bahnhof Mexikoplatz, die eine Netzwirkung haben wird.
  • Trassen sichert. Zum Beispiel die der Neukölln-Mittenwalder Eisenbahn. Auch wenn heute nicht absehbar ist, dass solche Trassen in näherer Zukunft wieder reaktiviert werden. Aber das dachten wir zum Beispiel zwischen Lichtenrade/Frohnau/Heiligensee/Lichterfelde-Süd/Staaken/Spandau-West und der Stadtgrenze auch nicht …
  • Rückgrat zeigt und nicht aus dem Auge verliert, dass Anwohnerinteressen eben Anwohnerinteressen sind. Und nicht mehr. Nur ein Beispiel: Die Straßenbahn zum Bahnhof Ostkreuz nutzt vielen Menschen.
  • von Bayern lernt 😉: Projekte fertig geplant haben und bei Finanzierungsmöglichkeit aus der berühmten Schublade holen.
  • die Planungssicherheit schafft. Neue gesetzliche Vorgaben dürfen nicht dazu führen, dass abgeschlossene Planungsschritte „für die Katz'“ sind.
  • Prioritäten setzt und sich nicht verzettelt. Beispiel Siemensbahn: jetzt bauen bis nach Gartenfeld und sich nicht noch mit Verlängerungsfragen, die spätere Generationen beantworten werden, beschäftigen. Klar ist natürlich: nichts dauerhaft und aufwendig verbauen!
  • Stadtentwicklung mitdenkt. So bieten sich mit einer Neuaufteilung der Verkehrsflächen Chancen, die die Stadt lebenswerter machen können. Französische Städte mit ihren neuen Straßenbahnnetzen zeigen Möglichkeiten auf. Ein Beispiel: Straßburg. Stadtentwicklung mitdenken kann aber auch heißen: Konzepte zur Verkehrsvermeidung entwickeln, indem bspw. „Wohnen“ und „Arbeit“ näher zusammenrücken. Dazu kann aber auch die Frage des Wirtschaftsverkehrs gehören, nämlich, ob die Bahn bei der Güterverteilung wieder eine größere Rolle spielen kann? Dazu braucht es mindestens erst einmal die Sicherung brachliegender Bahnflächen. Beispiel: der Güterbahnhof Wilmersdorf ist Geschichte, Tempelhof noch nicht.
  • die z. B. BVG und S-Bahn digital miteinander verzahnt. Beispiel: Wenn der in Lichtenrade, Heiligensee oder Wannsee nur alle 20 Minuten fahrende Bus eine Information bekommt, dass sich die S-Bahn nur ein, zwei Minuten verspätet, kann er evtl. warten. Anschlusssicherung in den Außenbezirken erhöht unmittelbar die Attraktivität.
  • die das System Eisenbahn größer im Sinne von europäisch denkt. Natürlich wird ein Flug Berlin-Paris immer schneller sein als es ein Zug je könnte. Wenn man aber zwei Stunden vor Abflug am Airport sein soll (und es soll einen neuen Flughafen geben, da reicht selbst das nicht …) sowie An- und Abreise berücksichtigt, stellen sich manche Fragen anders. Dabei muss man (innerdeutschen) Flugverkehr nicht verbieten, sondern attraktive Alternativen anbieten, die von den Nutzerinnen und Nutzern auch unter Klimagesichtspunkten anders als früher bewertet werden. Im Entwurf des „Deutschlandtaktes“ gibt es ihn jedenfalls schon: der aus Warschau kommende TEE 2 verlässt Berlin Hauptbahnhof um 14:33 Uhr und erreicht Paris Nord um 21:45 Uhr, also nach nur 7 Stunden 12 Minuten (Quelle: fernbahn.de).

Wahrscheinlich fallen Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, noch mehr oder andere Dinge ein. Die Liste kann nicht abschließend sein und ist, wir sind keine Phantasten, ein Stück weit idealistisch. Nur: Wann, wenn nicht jetzt, in Zeiten der Bildung neuer politischer Mehrheiten, darf man mal einen Wunschzettel schreiben? Die Advents- und Weihnachtszeit ist ja noch ein paar Wochen hin.


Zwischenruf zur Bundestags- und Abgeordnetenhauswahl

In wenigen Tagen ist es soweit: Bundestag und Abgeordnetenhaus in Berlin werden gewählt. Manche werden sagen: Endlich.

Ist es möglich, das Thema „Verkehrswende“ in so einem „Zwischenruf“ auch nur ansatzweise abzuhandeln? Wohl kaum. Versuchen wir dennoch einen groben Überblick und laden Sie herzlich zu einem etwas längeren Text als gewöhnlich ein.

Der „Deutschlandtakt“ verheißt der Bahn eine große Zukunft; die Zahlen im Fernverkehr sollen von heute 150 Mio. auf 300 Mio. Fahrgäste 2030 steigen, Güter sollen vom Lkw auf Bahn. Dazu braucht es mehr Züge, die wiederum mehr Infrastruktur benötigen. Großprojekte wie Neubaustrecken fallen darunter, aber auch vermeintlich „einfache“ Dinge wie mehr Gleise, mehr Bahnsteigkanten, mehr Leit- und Sicherungstechnik, niveaufreie Ein- und Ausfädelungen etc. Wenn wir das Planungs- und Genehmigungstempo beibehalten, wird das Ziel deutlich verfehlt werden. Schon jetzt ist die Zeit knapp. Dazu braucht es aber eine neue, auch kritische, Aufgeschlossenheit der Bevölkerung gegenüber Infrastrukturprojekten – wie auch immer man die erreicht. Das ist Politik! Aber der alte Tucholsky-Spruch „vorne die Friedrichstraße, hinten die Ostsee“ passt im übertragenen Sinne auch hier: alles geht nicht.

Natürlich gibt es schon heute attraktive Fahrzeiten im Punkt-zu-Punkt-Verkehr. Wer von Berlin-City nach Hamburg-City möchte, muss, jedenfalls wenn es um Fahrzeiten geht, nicht über Alternativen nachdenken. Benötigt man größeres Gepäck, kann die Sache schon anders aussehen. Und wer dann gar noch, zum Beispiel, nach Jork in das Alte Land will, für den wird es schon schwierig. Ja, klar, es geht mit dem ÖPNV. Manchmal sind es die kleinen Dinge: das Finden der Bushaltestelle zum Beispiel (Linie 436 in Hangelsberg …). Aber auch der Tarifdschungel der einzelnen Verkehrsverbünde mit ihren Waben, Tarifzonen, etc. Wer dann noch den Verkehrsverbund wechselt … Ich unterstelle, dass es auch Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, die Sie dem ÖPNV zugetan sind, zuweilen schwerfällt. Wie soll es denn erst einer/einem hier als „Normalo“ angenommenen Autofahrenden gehen?

Für den Vor- und Nachlauf einer Reise, insbesondere in den ländlichen Regionen, zwischen zwei Knotenpunkten brauchen wir also noch Lösungen, wenn die Verkehrswende im Alltag gelingen soll. Verfügbarkeit (Taktung) und Einfachheit (Tarife, Nutzung) wären hier zwei Stichworte.

Noch ein letzter Gedanke zur Bahn: in den „think tanks“ der Deutschen Bahn wird sicher bereits darüber nachgedacht, was es bedeuten könnte, wenn dereinst die Grenzen zwischen privatem und öffentlichem Verkehr verschwimmen und uns Roboterautos über Nacht von Haus zu Haus bequem über große Entfernungen transportieren. Warum sollte man sich dann noch in ein Massenverkehrsmittel setzen, wenn es auch bequem individuell geht? Keine schöne Frage. Antworten dazu könnte der letzte Teil des Textes enthalten, der sich mit unserem Energieverbrauch beschäftigt.

Wo wir bei Fahrzeiten waren: der rein innerdeutsche Flugverkehr, davon darf man ausgehen, spielt mit besseren Bahnverbindungen (und wohl auch mehr Videomeetings) eine zunehmend geringere Rolle. Von Berlin aus geht es sowieso nur noch nach Frankfurt, München, Köln/Bonn, Düsseldorf und Stuttgart. Bei Stuttgart ist der Flieger heute einfach deutlich schneller, bei Frankfurt/München ist sicher erheblicher Umsteigeverkehr dabei und bei den beiden Zielen im Westen wird die ICE-Linie 10 ab Dezember durch Non-Stop-Züge Berlin-Köln nochmals attraktiver. Aus unserer Sicht sollte man das Thema nicht mit Verboten, sondern Angeboten regeln. Und gute Angebote werden auch angenommen, wie die Gegenwart bereits zeigt.

Das Auto. Immer länger, breiter, luxuriöser und damit schwerer. Aber alles wird gut: Elektromobilität. Wird alles gut?

Versuch einer Annäherung: Deutschland hat sich entschieden, seine Energieversorgung grundlegend umzustellen: Ausstieg aus der Kernenergie, der Kohleverstromung und der Verbrennung von Kohle bei industriellen Prozessen. Wir wollen das hier nicht diskutieren, können aber feststellen: ein ehrgeiziges Ziel.

Schon heute spielen regenerative Energien eine wichtige Rolle in der Stromversorgung. Will man nun den kompletten Strombedarf umstellen, wird klar: es braucht mehr Windräder, mehr Photovoltaik, mehr Wasserkraft, mehr Stromtrassen zum Transport, mehr Bereitschaft der Bevölkerung, diese Eingriffe mitzutragen (siehe oben). Und durch die anstehenden Umstellungen im Verkehrs- und Industriebereich wird der Strombedarf deutlich größer werden. Wir sind keine Physiker, aber es wäre interessant zu recherchieren, z. B. bei den großen Wirtschaftsforschungsinstituten (DIW, ifo, IdW), welche Konsequenzen sich daraus ergeben.

Betrachten wir bei den Themen „Verkehrswende“ und „Auto“ mal nur die Ballungsräume und nicht „das Land“ mit seinen eigenen Herausforderungen, so können wir feststellen, dass in der noch immer autovernarrten Nation (Aufmacher der BILD-Zeitung vom 04.09.2021: „Angst um unser Auto!“) das Produkt Auto wie bisher gedacht wird: nicht kleiner, leichter, smarter, sondern tendenziell länger, breiter, schwerer, leistungsstärker („sportlicher“). Nur eben mit anderem Antrieb. Aber: ist es sinnvoll, im Stadtverkehr zwei Tonnen und mehr zu bewegen, nur um das Kind/den Enkel zur Schule zu bringen, zur Arbeit zu fahren oder eine Kiste Wasser zu transportieren? Ist es sinnvoll, die Stadt mit diesen Boliden vollzustellen und knappen Stadtraum als Parkplatz zu nutzen? Ist es sinnvoll, den wertvollen und knappen regenerativen Strom auch dafür zu verwenden? Für immer mehr Menschen lautet die Antwort: nein.

Wenn wir also unsere Städte lebenswerter machen wollen, muss nach siebzig Jahren Autozentrierung ein Zurückdrängen zugunsten anderer Verkehrsmittel erfolgen. Das Zurückdrängen ist übrigens nicht nur baulich gemeint, sondern fängt schon bei der härteren Bestrafung von Parken auf Geh- und Radwegen, an Kreuzungen, auf Busspuren oder Missachten von Tempobegrenzungen an. Sichtbar wurde in Berlin in den vergangenen fünf Jahren nur, dass einiges für Radfahrende getan wurde (aber auch von den Radschnellwegen ist weit und breit noch nichts zu sehen).

Und wir neigen nach wie vor zur Konfrontation: Auto gegen Fahrrad gegen Fußgänger, U-Bahn gegen Straßenbahn. Die alten Reflexe leben sofort wieder auf: wer für U-Bahn ist, ist gegen Straßenbahn, wer für Auto ist, ist gegen Radfahrende. Und selbstverständlich auch umgekehrt. Wer sich mal in die entsprechende Twitter-Blase begibt, weiß, was gemeint ist. Ist das zielführend? Wohl kaum. Und so würde man von Verkehrspolitik erwarten, dass sie top-down ein Leitbild entwirft, wie städtischer Verkehr zukünftig organisiert werden soll und was die Prioritäten sind. Daraus leiten sich dann Maßnahmen ab. Klar ist aber: wenn eine andere Aufgabenverteilung („modal split“) politisch gewollt und entschieden ist, werden Autonutzende an der einen oder anderen Stelle, wir möchten das Wort eigentlich nicht verwenden, zu den Verlierern gehören.

Was Mut macht: Unsere Verkehrsforen mit den verkehrspolitischen Sprechern haben gezeigt, dass die Parteiprogramme da eigentlich gar nicht so dumm sind! Angebote statt Verbote, zielbezogene Nutzung der einzelnen Verkehrsmittel. Wenn dann der eine oder andere im Eifer des Wahlkampfs in die alte Kampfrhetorik über die Schikanen gegen Autofahrer (wo sind die eigentlich?) zurückfällt: sei es drum. Das sind die Schlachten von gestern.

Was wir in diesem langen Wahlkampf vermisst haben: eine Ahnung davon, was da eigentlich auf uns zukommt. Schlagworte gab es zuhauf. Aber ein Bild dessen, auf was wir uns mittel- bis langfristig in der täglichen Praxis einzustellen haben? Wenn wir voraussetzen, dass die Wissenschaft mit ihren Prognosen richtig liegt, dann besteht (dringender) Handlungsbedarf. Und das ist weit mehr, als den Verbrenner durch einen Elektromotor zu ersetzen. Wir werden, bei weiterhin steigender Weltbevölkerung, weniger Energie verbrauchen müssen, die wir aber intelligenter erzeugen und speichern. Denn zur Wahrheit gehört auch: unser „westlicher“ Lebensstil ist so ressourcenintensiv und, wenn man ehrlich ist, ungerecht, dass ein „Weiter so“ schwerlich zu rechtfertigen ist. Schon gar nicht gegenüber den Armen und aufstrebenden Mittelschichten der Schwellenländer, die das für sich zunehmend ebenfalls beanspruchen. Und wer von uns könnte ihnen das verweigern?

So endet dieser „Zwischenruf“ jenseits der Verkehrspolitik, aber so ist es nun mal: alles hängt mit allem zusammen. Es war der Versuch, Verkehrspolitik ein wenig weiter zu fassen als das Herunterbrechen auf konkrete Projekte im Sinne von „Baut endlich die Stammbahn als Regionalbahnvariante“. Was allerdings stimmt!

Und es bleiben, natürlich, weite Teile unerwähnt:

Wie kam es eigentlich zur Entscheidung „pro Elektro“ und warum? Wurden Alternativen angemessen diskutiert? Was ist mit der sogenannten Externalisierung interner Kosten (Kosten, die ein Verkehrsträger verursacht, die aber von der Allgemeinheit getragen werden)? Wie können wir Verkehr vermeiden? Wie verknüpfen wir die verschiedenen Systeme besser? Wie können jahrzehntelang entstandene Verkrustungen aufgebrochen und rechtsstaatlich Planungs- und Genehmigungsprozesse beschleunigt werden? Sicher fallen Ihnen spontan noch viele weitere Fragen und Themen ein!

Zum Abschluss noch ein persönliches Wort:

Der Autor fährt ein mit Diesel betriebenes Auto, nutzt regelmäßig öffentliche Verkehrsmittel, geht zu Fuß und fährt (zu wenig) Fahrrad. Er trägt also alles andere als einen umweltpolitischen Heiligenschein und ist ein Beispiel dafür, dass es von der Erkenntnis bis zur Umsetzung ein langer Weg sein kann.

Wir wünschen Ihnen am 26. September eine gute Wahl!


Zwischenruf zum Mauerbau vor sechzig Jahren - und den Folgen bis heute

Schon wieder ein „Zwischenruf“? Nein, das wird nicht zur Gewohnheit!

Eine der beliebtesten VIV-Veranstaltungen war über viele Jahre der „VIV-Lückentest“, den wir immer rund um den 13. August gemacht haben. 13. August? Jahrestag des Mauerbaus und, auf gut bayerisch, heuer sechzig Jahre her – also ein historisches Datum. Das Ende der Teilung liegt mittlerweile allerdings auch fast 32 Jahre zurück, also länger als die Mauer stand.

Und noch immer gibt es im Verkehrsbereich Teilungsfolgen und/oder Merkwürdigkeiten. Wir reden sicher nicht dem Straßenbau das Wort, aber der Teltower Damm jenseits der Goerzallee wirkt so, als sei der Mauerfall gerade erst ein paar Monate her. Chronischer Stau, inklusive der Buslinie X10, die mit dem weiteren Nadelöhr in Zehlendorf Mitte sicher zu den „Problemlinien“ der BVG zählen dürfte.

Die Schienenwege zwischen beiden Stadthälften sowie vom ehemaligen West-Berlin nach Brandenburg sind im Prinzip geschlossen (die Straßenbahn als Sonderthema mal außen vor gelassen) und werden von mindestens einem System (U-Bahn, S-Bahn, Regionalbahn) bedient. Nein, nicht die Potsdamer Stammbahn und auch nicht die Friedhofsbahn. Für den notwendigen Verkehrsbedarf der letzteren zwischen Wannsee und Stahnsdorf braucht man sicher einiges an Phantasie, zumal bei den notwendigen Investitionen. Bei der Stammbahn konnten wir eben erst von den verkehrspolitischen Sprechern lernen, dass inzwischen eigentlich alle für das System „Wechselstrom“, vulgo Regionalbahn, seien. Brandenburg sowieso. Es könnte also entschieden werden, das Projekt endlich zu realisieren.

An der Dresdner Bahn und der Heidekrautbahn wird gebaut – an ersterer intensiv, an letzterer mit „gebremstem Schaum“. Spandau-Falkensee ist, um es positiv auszudrücken, von der Politik als dringender Handlungsbedarf anerkannt. Hier scheint es in irgendeiner Form auf die Maximallösung „S- und Regionalbahn“ hinauszulaufen. Man darf gespannt sein, ob die Chance genutzt und das Falkenhagener Feld mit einem Abzweig auf der Bötzowbahn mit angeschlossen wird.

Wie sieht es aber bei den „einfacheren“ und weniger spektakulären Dingen aus? Zum Beispiel durchgängig zweite Gleise auf den Außenstrecken der S-Bahn?

Bei der S7 nach Potsdam wie auch auf der S1 nach Oranienburg? Beides diente der Fahrplanstabilität; bei der S1 würde ein Zehn-Minuten-Takt nach Oranienburg möglich. Die S25 ist im Süden und im Norden auf weiten Strecken eingleisig, was die Verspätungsanfälligkeit enorm erhöht. Über die Verlängerung in das aufstrebende Velten ist noch immer nicht entschieden. Keine Teilungsfolge, aber dennoch dringend notwendig: das zweite Gleis für die S2 nach Bernau sowie auf der S5.

Die Dresdner Bahn erwähnten wir schon. Erfreulich, dass Brandenburg forsch voranging und die Verlängerung der S2 nach Rangsdorf entschied. Was allerdings ist in die Planer gefahren, beim laufenden Wiederaufbau der Fernbahn die S2 erneut nur eingleisig vorzusehen?

Wir haben also nach wie vor nicht nur Nachholbedarf bei den „Butterprojekten“ Spandau-Falkensee oder Potsdamer Stammbahn. Nein, auch „Brotprojekte“ wie zweite S-Bahngleise auf den Außenstrecken oder weitere Bahnsteigkanten auf dem Ring sind dringend notwendig und haben durch mögliche häufigere Takte und geringerer Störungsanfälligkeit einen hohen Fahrgastnutzen. Der interessierte Laie kann sich fragen: warum dauern diese Maßnahmen so lange? Und vielleicht tut dies manche Fachfrau, mancher Fachmann auch …

Dies umso mehr, als die Pendlerzahl zwischen den Vororten und der Stadt massiv gestiegen ist. Das Berliner Mietniveau und der nach wie vor ungebrochene Trend zum „Häuschen im Grünen“ lassen auch mittel- bis langfristig keine andere Entwicklung erwarten. Und wenn wir diese zusätzlichen Verkehre im Wesentlichen nicht mit dem MIV, Stichworte sind „Klimaschutz“ und „Verkehrswende“, sondern dem ÖV abwickeln wollen, benötigen wir natürlich auch die entsprechenden Kapazitäten.

Berlins Bahn-Chef, Alexander Kaczmarek, formulierte mal sinngemäß und pointiert, manche S-Bahnstrecke sei noch im unmittelbarem Nachkriegszustand, bei dem das zweite Gleis gerade erst als Reparationsleistung demontiert werden musste. Hoffen wir, dass sich das bis zum 13. August 2031 geändert haben wird!


Zwischenruf zur Verkehrswende und einem seltsamen TV-Auftritt

Vergangene Woche, am späten Abend läuft im ZDF „Markus Lanz“. Erster Gast ist der bayerische Ministerpräsident, was immer interessant ist. Zweiter Gast ist dann aber Herbert Diess, seines Zeichens Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG. Und das war nicht minder interessant.

Die Worte „Diesel“ und „Schummeleien“ nimmt der Moderator nur einmal in den Mund, was Herr Diess elegant ignoriert. Er muss noch nicht einmal von der „Dieselproblematik“ sprechen, wie es im VW-Jargon immer heißt. Stattdessen präsentiert sich Herr Diess als „Mr. Elektro“ und, wenn man so will, als deutsches Gegenstück zum Tesla-Chef.

Er schwärmt davon, dass die Elektrifizierung des privaten Autos (und übrigens auch des Lkw) nur der Anfang sei, es stünde eine technologische Revolution bevor: mit selbstfahrenden Autos und einer unfallfreien Zukunft. Er gehe davon aus, dass in Zukunft eher mehr als weniger Autos auf den Straßen seien, weil Bevölkerungsschichten dann auch ein Auto nutzen könnten, denen es heute, z. B. aus gesundheitlichen Gründen, nicht möglich ist.

Das Auto der Zukunft sei komplett umweltfreundlich (Einwände zur Lithium-Gewinnung in Südamerika werden ignoriert) – wenn es denn aus „grünem“, also regenerativ erzeugtem, Strom angetrieben werde. Die für den elektrifizierten Straßenverkehr bereitzustellende Strommenge sei kein Problem, wird behauptet.

In dieser schönen neuen Welt des Automobils tauchen Begriffe wie „Bahn“, „Verkehrswende“ oder „Umweltverbund“ gar nicht auf! Ebenso nicht die zunehmende Versiegelung des Bodens, auch durch Verkehrsflächen, was bei zunehmenden Starkregenereignissen an Brisanz gewinnt.

Nun möchte Herr Diess Volkswagen verkaufen und sein Unternehmen zukunftsfähig darstellen – man muss das alles nicht glauben und schon gar nicht teilen.

Aber eines scheint klar:

Die Verkehrswende ist kein Selbstläufer! Die Unternehmen des öffentlichen Verkehrs werden möglicherweise mehr denn je ihren Finanzierungsbedarf begründen müssen. Der Verzicht auf den Ausbau der sogenannten „Mitte-Deutschland-Verbindung“ ist hoffentlich kein Menetekel (siehe mdr.de/nachrichten/thueringen/bahn-mitte-deutschland-verbindung-100.html).

Dieses einmal nur so – als Zwischenruf.


VIV-Wahlforen

Berlin wählte ein neues Abgeordnetenhaus (AGH). Und damit auch einen neuen Senat. Man musste kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass das Thema „Verkehr“ von zentraler Bedeutung sein würde.

Hitzige Debatten um „Radfahrstreifen“ und „Weiterbau A100“ zeigten aber auch die Bedeutung der Verkehrspolitik. Viele vertraten vehement die Auffassung, dass die Verlagerung vom Pkw zum Fahrrad bereits „die“ Verkehrswende sei. Aber war dem so?

Fast geraten Menschen, die zu Fuß unterwegs sind, und Nutzerinnen und Nutzer des öffentlichen Verkehrs in den Hintergrund, wenn über Alternativen bzw. Ergänzungen zum Auto nachgedacht wird. Und leider war in der Legislaturperiode für den Außenstehenden wenig Erkennbares realisiert oder begonnen worden, was den Bus oder die schienengebundenen Verkehrsmittel betraf. Von großen Infrastrukturprojekten (i2030), überschaubaren Maßnahmen (die kurze U3-Verlängerung um ein paar Hundert Meter) oder auch „demonstrative“ Provisorien zum Nutzen der Fahrgäste (RB 33 nach Zehlendorf oder Steglitz) ganz zu schweigen.

Über konkrete Fragestellungen zu einzelnen Maßnahmen hinaus stellte sich aber auch die grundsätzliche Frage, wie Verkehr in der Stadt zukünftig organisiert werden sollte. Ist der Weg der vergangenen sechzig Jahre, „Vorfahrt für den privaten Autoverkehr“, weiterhin richtig oder bedarf es anderer Schwerpunkte? Und wenn ja, welche und wie ließe sich das umsetzen?

Wir freuten uns deshalb sehr, dass sich verkehrspolitische Sprecher der im AGH vertretenen und verkehrspolitisch relevanten Parteien Zeit nahmen und über die diesbezüglichen Ziele ihrer Parteien berichteten, aber vor allem für Ihre Fragen zur Verfügung standen.

Im Einzelnen hatten wir folgende Termine (jeweils 18:00 Uhr, jeweils eine Stunde) vorbereitet:

  • Henner Schmidt (FDP) am 28.06.2021
  • Harald Moritz (GRÜNE) am 30.06.2021
  • Tino Schopf (SPD) am 07.07.2021
  • Oliver Friederici (CDU) am 14.07.2021 
  • Kristian Ronneburg (LINKE) am 27.07.2021

Nach wie vor pandemiebedingt wurden wir die einzelnen Termine mit ZOOM durchgeführt.

Alle Interessenten hatten die Möglichkeit, den Herren im Vorfeld Ihre Fragen, entweder einzeln oder als Themenkomplex, per E-Mail zu übermitteln. Für kurzfristig auftretende Fragen bestand dann auch im Chat eine Möglichkeit, kurze Fragen schriftlich zu stellen.


Zwischenruf: "Sind minimale Kosten alles?" oder vom Wert des zukünftig Historischen

Eine auf den ersten Blick merkwürdige Frage:

Werden heutige Fahrzeuge auch einmal alt und damit historisch?

Dies kann man wohl uneingeschränkt mit „Ja“ beantworten. Wer aber kümmert sich um den dauerhaften Erhalt heutiger Fahrzeuge bzw. Baureihen, die vor der Ausmusterung stehen und die von zukünftigen Generationen als historisch bewundert werden könnten?

Nur ein Beispiel:

Bei der BVG steht die Kleinprofil-Baureihe A3 (L71) kurz vor dem Aus (die grundlegend modernisierten A3E rechnen wir hier nicht mit). Kümmert sich irgendjemand um den Erhalt eines solchen Fahrzeugs, vielleicht gar betriebsfähig? Immerhin fuhr die Baureihe A3 seit 1960 durch den Westteil der Stadt (bis 13.08.1961 auch in den Ostteil) und seit 1993 auch wieder nach Pankow. Sechzig Jahre sind eine lange Zeit und dieses Fahrzeug damit ein bedeutender Vertreter der Berliner U-Bahn. Wird die BVG ein oder zwei Doppeltriebwagen museal erhalten, um damit vielleicht auch einmal Sonderfahrten machen zu können? Vielleicht auch dann, wenn die aus heutiger Sicht „richtig“ alten Fahrzeuge der Serien A1/A2 technisch wirklich nicht mehr eingesetzt werden können?

Aber auch bei musealen Fahrzeugen sieht es zuweilen nicht besser aus:

Da wird auf dem Tegel-Gelände eine historische Boeing 707 kurzerhand zerhackt, weil sich niemand findet, der ein Budget für solch ein Ausstellungsstück bereitstellen kann oder will. Über den sog. „Rosinenbomber“, der mittlerweile Berlin still, heimlich und zerlegt verlassen hat, reden wir mal gar nicht. Die Flughafengesellschaft sah sich aus finanziellen Gründen (!) nicht in der Lage, dieses Flugzeug geschützt irgendwo aufzustellen und so an ein Stück Geschichte zu erinnern. Bei den BER-Gesamtkosten wäre das nicht mehr als eine Fußnote gewesen.

Die „Arbeitsgemeinschaft Traditionsbus Berlin e. V.“ mit ihren zahlreichen Fahrzeugen der BVG (West), viele davon betriebsfähig und täglich auf der Linie 218 im Einsatz, verliert Ende 2022 ihre Mietflächen in Haselhorst, weil darauf Wohnungsbau vorgesehen ist. Wer wollte etwas dagegen haben? Aber der Senat sieht sich nicht zuständig und demonstriert in einer parlamentarischen Anfrage komplettes Desinteresse. Die BVG selbst hat schon Schwierigkeiten, ihre vielen neuen langen Gelenkbusse unterzubringen (als Ersatz der, leider, abgängigen Doppeldecker) und will sich nun nicht auch noch mit Fahrzeugen ihrer eigenen Geschichte beschäftigen. Die, das nur nebenbei, waren früher Teil der BVG-Sammlung (Busse, Straßenbahnen, U-Bahnen), die im Betriebshof Gradestraße untergebracht war.

Und die S-Bahn?

Immerhin stehen die historischen Fahrzeuge in Erkner warm und trocken, wenn man auch von Betriebsfähigkeit heute nur träumen kann. Aktuell geht es der Baureihe (BR) 485 „an den Kragen“, weil, so hört man, in Schöneweide Platz geschaffen werden muss für die Neubaufahrzeuge der BR 483/484, die bis zum Inkrafttreten des neuen Verkehrsvertrags Ende 2022 nicht eingesetzt werden dürfen und nigelnagelneu abgestellt werden müssen. Was für ein Irrsinn! Aber das nur nebenbei. Kann man nur hoffen, dass auch ein Halbzug der BR 485 und dereinst auch ein Doppeltriebwagen der BR 480 museal oder gar betriebsfähig erhalten werden.

Natürlich, allein unter Renditegesichtspunkten lässt sich keines der hier genannten Beispiele rechtfertigen! Das war noch nie so und wird auch zukünftig so ein. Aber die Nachwelt wird uns den Erhalt technischer Denkmäler danken – spätestens dann, wenn nach Corona auf Sonderfahrten die „gute, alte Zeit“ wiederbelebt wird. Auch das wird zukünftig so sein.

Also: Zwingen uns Rendite- und Kostensenkungsansprüche, auf wirtschaftlich Unvernünftiges, gleichwohl technikgeschichtlich Wertvolles zu verzichten? Nur einmal so als Zwischenfrage …


Ein Zwischenruf zu den Erfordernissen der Verkehrswende im Kleinen

Versetzen Sie sich bitte in einen Gelegenheitsfahrgast, der oder die mal kurzfristig „den Zug ausprobieren“ möchte und am frühen Sonntagabend von Fulda in den Südwesten Berlins oder nach Potsdam möchte. Dazu gibt es zwischen 18:00 und 19:00 Uhr vier Verbindungen, drei davon über Erfurt, eine über Braunschweig. Die Fahrzeiten betragen zwischen 3 ¾ h und 4 ½ h. Der Flexpreis liegt, je nach gewählter Verbindung, bei ca. 115 € (1. Klasse ca. 190 €). Stolzer Preis, denken Sie sich, aber ist ja ICE. Sie entscheiden sich für Braunschweig.

Der ICE 276 kommt aus Basel und soll Fulda um 18:12 Uhr auf Gleis 6 verlassen, er kommt lt. Anzeige ca. 20 min verspätet (am Ende wird es eine halbe Stunde). Bahnsteigdurchsagen gibt es keine, Personal auch nicht. Sie denken sich: „Gut, dass ich nicht alt oder krank bin“, denn ihr reservierter Platz (in der 2. Klasse 4 € extra) ist im ersten Wagen an der Spitze eines langen ICE. Und dort gibt es keine Anzeige auf dem Bahnsteig. Mehrere ICE fahren an Gleis 6 ein und Sie müssen darauf achten, dass es nicht Ihrer ist. Aber alles klappt, Sie erwischen den richtigen Zug, nächster Halt der „Palast der Winde“, Kassel-Wilhelmshöhe.

Nach Kassel wird es gemütlich, der schnelle ICE fährt auf kurviger Strecke durchs Wesertal. Sehr schöne Strecke, denken Sie sich, aber sie sitzen doch in einem ICE? Das Personal könnte mittels Durchsage Marketing in eigener Sache machen und Verständnis wecken, indem es darauf hinweist, dass auf der Schnellfahrstrecke für Sie, unsere Fahrgäste, gebaut würde und man deshalb auf der Altstrecke fahre. Tut es aber nicht. Und so kommen aus der Reihe vor Ihnen lästerliche Bemerkungen zum „Schnell“zug und Sie als Bahn-Laie denken sich: Stimmt.

In einem Ort namens Eichenberg kommt der Zug zum Halten. Dort stehen schon mehrere Züge. Nach einer Weile gibt es tatsächlich eine Durchsage: Bahnübergangsstörung, Weiterfahrt ungewiss, man stehe im Stau. Hoffnung kommt auf, der ICE auf dem Nachbargleis setzt sich in Bewegung und bald darf auch unser 276 zu nun noch gemächlicherer Fahrt starten. Göttingen wird nach weiteren Zwischenstopps auf freier Strecke mit fast einer Stunde Verspätung erreicht. Der Zugchef macht in Göttingen, Hildesheim, Braunschweig, Wolfsburg seine stoischen Ansagen: „Unser Zug hat aktuell eine Verspätung von 55 Minuten. Wir danken für die Reise mit der Deutschen Bahn/begrüßen Sie im ICE der Deutschen Bahn“. Ein Wort der Entschuldigung oder des Bedauerns? Fehlanzeige. Als sei das Normale, denken sie sich leise.

Spandau. Die Verspätung stabil, Plan 21:46 Uhr, Ist 22:42 Uhr. Die S-Bahn-Verbindung in den Südwesten über Westkreuz ist gerade vor 4 Minuten abgefahren, sie bleiben bis Hauptbahnhof sitzen. Ein Fehler – aber das ahnen sie noch nicht.

Am Nachbargleis verlässt gerade ein anderer ICE Spandau Richtung Innenstadt (für Experten: es ist der ebenfalls eine mehr als halbe Stunde verspätete 945/955 aus Nordrhein-Westfalen). Unser 276 setzt sich nur kurz danach in Bewegung; es geht in Richtung Stadtbahn. Plötzlich im Nirgendwo: Halt. Minutenlanges Schweigen, sehr langes Schweigen.

Dann doch eine Durchsage: Der vor uns fahrende ICE, eben jener 945/955, sei in Charlottenburg in einen Bauzaun gefahren. Weiterfahrt ungewiss. Es folgt erneut: langes Schweigen, keine Informationen. Dann: die Bundespolizei ermittle, das dauere und zurück nach Spandau könne man auch nicht, weil hinter uns ein Zug sei, der nicht „rückwärts“ fahren könne (vermutlich der klassische IC 149 aus Amsterdam, der keinen Steuerwagen hat, übrigens auch eine Stunde zu spät in Spandau).

Die Zeit vergeht, „Mitternacht zog näher schon …“, fällt Ihnen ein. Wer den Weg in das BordBistro sucht, findet kostenloses Wasser. Später wird der Verkauf wieder öffnen, alles was noch da ist, wird kostenlos verteilt. Die Nachfrage ist faktisch null, erstens wird es, Sie ahnen es, nicht durchgesagt, aber, wichtiger, alle wollen nur eines: nach Hause. Da hilft auch kein Snickers.

So sachte machen Sie sich Sorgen, wie Sie eigentlich nach Hause kommen. Und natürlich der unvermeidliche Gedanke: „Wäre ich mal in Spandau …“ - aber es hilft nichts. Das Personal ist ebenfalls frustriert, am Ende ein gebrauchter Tag. Eine Mitarbeiterin des BordBistros sagt, sie müsse nach Berlin Ostbahnhof, der Endstation, noch 100 km nach Hause fahren; die letzte Verbindung in akuter Gefahr. Am Ende wird sie es wohl nicht geschafft haben. Ob der Arbeitgeber ein Taxi bezahlt?

Es ist inzwischen Montag und der 276 setzt sich in Bewegung. Ein paar Meter – und er steht erneut. Dann irgendwann geht es in besserer Schrittgeschwindigkeit durch Charlottenburg. Schnelles Aussteigen in Charlottenburg? Geht nicht. In Zoo? Schon gar nicht. Zwischen Bellevue und Hauptbahnhof kommt ihnen dann um 00:47 Uhr die letzte S7 des Tages nach Potsdam entgegen. Das wäre ihr Zug gewesen, denn der letzte RE1 soll den Hauptbahnhof um 00:41 Uhr verlassen haben. Das Zugpersonal verweist auf den 24 Stunden geöffneten ServicePoint im Hauptbahnhof, Ausgang Europa-Platz, der helfe weiter.

Um 00:49 Uhr erreicht der 276 den Hauptbahnhof, planmäßig 22:00 Uhr. Sie laufen die Treppe hinunter zum Bahnsteig Richtung Westen, blicken nach oben und sehen rote Dostos ausfahren. Erste Reaktion: Mist, der RE1 nun auch noch weg. Aber: es steht groß „FEX“ auf den Wagen, also die Treppe hoch und siehe da: der allerletzte RE1 auch verspätet. Er fährt ein. Sie haben Glück. Aber nur, weil Sie jetzt doch zum mitdenkenden Fahrgast mutiert sind und wissen, das „FEX“ nicht RE1 ist. Der Gelegenheitsfahrgast wäre nachts um eins im Hauptbahnhof gestrandet.

Epilog:

Ja, der Text war lang und deswegen: Danke, dass Sie durchgehalten haben.

Ja, hier hatte das EVU „nicht nur kein Glück, nein, es kam auch noch Pech dazu“.

Ja, es gibt viele, sehr viele, engagierte Eisenbahner/innen, die darunter leiden, wenn es nicht „löppt“. Nein, der Beitrag ist ausdrücklich kein „Bahn-Bashing“, sondern das Gegenteil, Liebe zur Eisenbahn.

So, mögen Sie sich fragen, drückt sich Liebe aus?

Ja, weil der hier angenommene Durchschnittsmensch, vielleicht eigentlich Autofahrender, die Reise so wahrgenommen haben könnte. Und würde er oder sie zu diesem Preis beim nächsten Mal wieder den Zug nehmen? Gemessen an der Bequemlichkeit eines Autos, trotz möglicher Staus, wohl kaum.

Das im Prinzip belanglose Beispiel soll illustrieren, dass das Schlagwort #Verkehrswende nicht nur Neubaustrecken, Reaktivierungen, moderne Züge etc. bedeutet. Nein, Verkehrswende ist auch, neudeutsch, „user experience“. Der öffentliche Verkehr hat mit dem Konkurrenten „Auto“ eine hohe Messlatte. Und da geht es leider nicht nur um Fahrzeit, sondern auch um vermeintliche Nebensächlichkeiten wie Bequemlichkeit, Kommunikation, Hilfestellung. Auch das sollten wir unter #Verkehrswende verstehen. Und dies umso mehr, als in einigen Jahren der dann elektrifizierte MIV als umweltfreundlich verkauft werden wird.

 


Ein Zwischenruf zur Dresdner Bahn

Nich' dran fummeln, wenn't löppt“, wird sich mancher Eisenbahner, manche Eisenbahnerin denken, der oder die Verantwortung für das Projekt „Dresdner Bahn“ trägt. Und so gibt es bauherrenseitig nur schmallippig Antworten zu Fragen nach den verpassten Chancen dieses Projekts.

Vermutlich ist es auch richtig, prozessuale Baustellen nicht wieder aufzumachen, „wenn't endlich löppt“. Es geht ja beileibe nicht nur um die BER-Anbindung (von der man nicht weiß, wie wichtig sie nach der Pandemie tatsächlich sein wird), sondern auch um schnelle Verbindungen nach Dresden und Prag. Die EC-Linie ist in normalen Zeiten eine stark nachgefragte Verbindung (nicht nur wegen des legendären tschechischen Speisewagens mit guter Küche und ebensolchem Bier …). Sicher nicht umsonst haben die Ceské Dráhy, die tschechischen Staatsbahnen, vor wenige Tagen moderne Railjet-Garnituren bestellt, um das betagte Wagenmaterial ab Mitte der Zwanziger ablösen zu können.

Aber zurück zur Dresdner Bahn im Berliner Raum, wo wir uns den Luxus erlauben und eine Espresso-Tasse mit Milch verkippen …

Wie also konnte es passieren, dass man die S2 im Zuge des Projekts nicht zweigleisig ausführt? Die Notwendigkeit auskömmlicher Infrastruktur ist sicher nicht neu und müsste auch bei Erstellung des Projektdesigns bekannt gewesen sein. Hinzu kommt nun noch die zwischenzeitlich getroffene Entscheidung der Brandenburger Landesregierung, die S2 (wieder) nach Rangsdorf zu verlängern. Obwohl nun eine Strecke, von Grund auf neu gebaut, reaktiviert wird, bleibt es bei eingleisiger S-Bahn- Infrastruktur. Unverständlich.

Aus unserer Sicht auch unverständlich ist, dass das Land Berlin auf einen „Umsteige-Hub“ im Süden verzichtet. Wir reden über einen Regionalbahnhof Buckower Chaussee, an dem heute die tangentialen Buslinien X11/M11 kreuzen (und dereinst hoffentlich die Straßenbahn). Hier ist unserer Meinung nach durch das Land Berlin eine Chance vertan worden, den BER (noch) besser ohne Auto zu erschließen.

Da wir nur eine kleine Tasse Milch verschütten wollten, reden wir an dieser Stelle nicht über den (zukünftig sicher sinnvollen) Haltepunkt Kamenzer Damm oder gar eine von der S2 abzweigende S- Bahn nach BER, die mehr als aufwendig in der Realisierung wäre (und bei einem Regionalbahnhof Buckower Chaussee auch komplett unnötig).

So ist es nun wie es ist: vergossene Milch eines Projekts, dass mit dreißig (!) Jahren Planungs- und Bauzeit bei einem Infrastrukturvorhaben rekordverdächtig ist. Obschon uns „Stuttgart 21“ und die „Rheintalschienet“ heftig Konkurrenz machen …