Zwischenruf zum „Ideenzug City“

Im ehrwürdigen S-Bahn-Werk Schöneweide steht zurzeit inmitten der großen Werkhalle ein S-Bahnzug „aus der Zukunft“ – der sog. „Ideenzug City“. Kein echter Zug, sondern ein Modell in Echtgröße und effektvoll inszeniert. Dort wird er nun Fachleuten und der Öffentlichkeit präsentiert. Wir hatten am vergangenen Samstag zusammen mit anderen verkehrspolitischen Vereinen und Fahrgastverbänden eine Einladung zur Besichtigung. Dafür nochmals herzlichen Dank!

Was soll nun dieses, neudeutsch, Mock-up? Wenn man so will ist es eine Ideensammlung, was im Nahverkehr von morgen aus Kundensicht so gehen könnte. Zum Beispiel eine Fahrzielanzeige, die sich in der gerundeten Fahrzeugfront bei Einfahrt in den Bahnhof zur Seite bewegt und damit besser lesbar ist. Oder eine Auslastungsanzeige, die die einsteigenden Fahrgäste besser verteilen soll. Auch innen gibt es eine Menge Displays bis hin zu „Augmented Reality“ in den Fensterflächen, die z. B. virtuelle Landschaften zeigen könnte (bei manchem Streckenabschnitt inmitten von Lärmschutzwänden vielleicht nicht die schlechteste Idee). Auffällig auch ein variables Beleuchtungskonzept, was zu einer angenehmen Aufenthaltsqualität beitragen soll. Am Tag des Berliner Stadtderbys waren in einer illuminierten Deckenfläche z. B. die Wappen der beiden Berliner Fußball-Bundesligavereine dargestellt. Man mag das für Spielerei halten, zeigt aber, was mit LED- Technologie alles möglich ist. Und gibt es im Konkurrenten des öffentlichen Verkehrs, dem Auto, nicht auch jede Menge elektronische „Spielereien“?

Funktional gibt es auch interessante Ideen: Arbeitsbereiche für Menschen mit Laptop, teils sogar abgeschirmt zum Telefonieren, Stehsitze und normale Bänke, die sich im Berufsverkehr verschieben oder einfahren lassen, um mehr Platz zu schaffen. Variabilität ist also das Stichwort.

Es ist sicher kein Zufall, dass die S-Bahn inmitten wichtiger Ausschreibungsverfahren diesen Ideenzug zeigt (der so natürlich nie auf die Gleise kommen wird). Und Ausschreibung ist das Stichwort. Wenn Sie sich z. B. in einem TALENT II der Baureihe 442 auf ihrem Sitzplatz beengt fühlen. dann ist das in der Systematik des Regionalverkehrs ja nicht die Idee des Eisenbahnverkehrsunternehmens (EVU) den Zug sehr eng zu bestuhlen, sondern die Konfiguration und Ausstattung, die in der Ausschreibung verlangt wurde. Sie müssten also Ihren Protest im Falle Berlin-Brandenburgs an den VBB richten, nicht an das EVU. Und eines lässt sich betriebswirtschaftlich nicht beiseite wischen: Komfort und Platz kosten Geld. Wer schon mal „Business Class“ statt „Holzklasse“ geflogen ist, dem ist dieser Effekt sehr deutlich geworden – im tatsächlichen Platz UND im Portemonnaie.

Nun sind Verkehrsmittel wie Bus, Straßenbahn, S- und U-Bahn auf hohe Kapazitäten hin optimiert. Individuelle Fahrgastbedürfnisse hinsichtlich des Komforts sind jenseits von „Stehen“ und „Sitzen“ eigentlich nicht vorgesehen. Aber: diese Verkehrsmittel konkurrieren mit dem Auto. Und dieses bietet seit Jahren immer mehr Komfort in Form von Platz und technischen Ausstattungen. Deswegen wird es auch immer größer und schwerer. Ein großes SUV wiegt mittlerweile 2,5 Tonnen – leer.

Zugespitzt könnte man formulieren: es konkurrieren 2,5 Tonnen zur Beförderung eines Menschen gegen die drangvolle Enge in einem gut ausgelasteten Massenverkehrsmittel.

Unsere Prognose: da wird es schwierig mit der #Verkehrswende und der deutlichen Reduzierung des Autoverkehrs in den Städten. Wenn man es denn über Angebote regeln möchte.

Vor diesem Hintergrund ist es sicher gut und richtig, sich über Komfortmerkmale Gedanken zu machen und die denkbaren Möglichkeiten auch mal „zum Anfassen“ zu präsentieren. Ein Umdenken braucht es aber bei den Aufgabenträgern! Und dazu Geld, denn: Komfort, auch in Form von Platz, kostet Geld (mehr Züge, mehr Personal, …). Es ist aber auch an den Nutzerinnen und Nutzern, also den Fahrgästen, hier aktiv mehr zu fordern! Mehr Strecken, mehr Züge, mehr Komfort.