Zwischenruf zu 50 Jahre InterCity
Vor fünfzig Jahren, 1971, richtete die damalige Deutsche Bundesbahn ein wegweisendes Fernverkehrssystem ein, den InterCity. Modernes Wagenmaterial, 200 km/h Höchstgeschwindigkeit und Komfort vermittelten ein neues Reisegefühl. Die neue Elektrolokomotive der Baureihe 103 vervollständigte das Bild einer neuen Bahn, die schon damals auf den steigenden Individualverkehr reagieren musste. Aber erst acht Jahre später, 1979, trat der wirkliche Erfolg ein: Taktverkehr, Einführung der 2. Klasse. „Jede Stunde, jede Klasse“ war der passende Slogan. Jahre später kam der InterRegio hinzu, ein ebenfalls im Takt verkehrender schneller Zug, aber eher abseits der Magistralen fahrend und auch kleinere Orte bedienend, sollte er das System ergänzen.
1991 dann die Einführung des ICE – eine Revolution. Ungeahnter Komfort („ein Traum in Pastell“) und Schnelligkeit durch die Nutzung der Neubaustrecken Hannover-Würzburg sowie Mannheim-Stuttgart. Schnell aber auch, weil nicht an „jeder Milchkanne“ gehalten wurde.
„Ich fahre ICE“ wurde, zumal unter Bahnlaien, zu einer Art Statussymbol – es war etwas Besonderes. Die Marke „ICE“ erlangte für die Bahn schnell einen unschätzbaren Wert. Folglich wurden in den Folgejahren weitere Strecken auf ICE umgestellt und die Flotte erweitert: ICE1, ICE2, ICE3 (auch in den Varianten 3M und VELARO), ICE4, ICE-T, ICE-TD (inzwischen ausgemustert) und zukünftig auch ICE-L.
ICE-L? Nun, „L“ steht für „low floor“, also niedrige Fußbodenhöhe. Gemeint sind Züge des spanischen Herstellers Talgo, die dereinst den Sylt-Verkehr und die heutige EC-Linie 77 Berlin-Amsterdam übernehmen sollen. Mit ihnen wird nun erstmals auch ein lokbespannter Wendezug ein ICE sein. Warum denn nicht gleich den IC2 (bis auf die wenigen KISS-Einheiten ebenfalls ein lokbespannnter Doppelstockwendezug) in Anlehnung an den französischen „TGV 2N“ („deux niveaux“/„zwei Etagen“) als „ICE Dosto“ bezeichnen?
Und weil es mit der Marke „ICE“ so gut lief, wurden die alten Wagen auch gleich im ICE-Design lackiert. Böse Zungen sprachen in diesem Zusammenhang von „Lazarettwagen“, denn besonders gelungen wirkt das auf den alten Fahrzeugen bis heute nicht. Nun steht der klassische InterCity („IC1“) kurz vor der Ausmusterung und wir haben in Zukunft „ICE“ und „IC2“. Der „IC2“ soll bei der Fernverkehrsoffensive bis 2030, Stichwort #Verkehrswende, eine neue Rolle spielen: eigentlich die des früheren InterRegio.
Aber wofür steht die Marke „ICE“ heute und zukünftig?
Für „Schnelligkeit“, wenn der ICE auch in so illustren Orten wie Altenbeken, Angermünde, Bad Hersfeld, Bad Kleinen oder Stadtallendorf (Q: Wikipedia) hält? Früher eine Domäne des InterRegio. Hinzu kommt, dass die Marke „ICE“ inzwischen auch für Urlauberzug steht: Lindau und Bregenz, Binz auf Rügen oder Garmisch-Partenkirchen stehen als Ziele dafür. Und zukünftig eben auch Westerland auf Sylt mit dem ICE-L.
Steht die Marke für „besonderen Komfort“? Man tritt der Bahn nicht zu nahe, wenn man feststellt, dass das Komfortversprechen aus den Anfangstagen des ICE mit jeder neuen Zuggeneration etwas weniger eingelöst wurde. Fensterplätze, bei denen man auf eine Wand schaut? Im ICE1 undenkbar, im ICE4 Realität. Die Wagenkästen wurden wieder merklich schmaler, die Sitzabstände deutlich geringer. Betriebswirtschaft bleibt eben Betriebswirtschaft, wenn man die für Komfort notwendigen Preise am Markt (Stichworte: „Billig-Airlines“, „FlixBus“) nicht durchzusetzen vermag.
Vielleicht denkt der eine oder andere Marketing-Spezialist bei der DB im Stillen doch darüber nach, ob es nicht sinnvoll sein könnte, das Produktversprechen, zum Beispiel hinsichtlich des Merkmals „Reisegeschwindigkeit“, in Zukunft wieder ein wenig zu differenzieren?
Ansätze gibt es, zum Beispiel durch die „ICE Sprinter“. Warum nicht auch das Gegenteil: „ICE Regio“? Oder eben doch: „InterCityExpress“ als Premiumangebot und ergänzend „InterCity“ sowie „InterRegio“.
Das Produkt ist eben nicht die „Hardware“, der Zug als solches, das Produkt ist die Dienstleistung „Beförderung von A nach B“. Und die kann hinsichtlich „Komfort“, „Reisegeschwindigkeit“, „Taktangebot“ etc. eben verschieden sein.
Zur Erinnerung: der ICE4 firmierte sehr lange unter dem Projektnamen „ICx“. Man muss ihn ja nicht gleich wieder blau anmalen ….