Zu Pleiten, Pech und Pannen oder: Quo vadis, U3?
Eines der frühen und erfolgreichen VIV-Veranstaltungsformate hieß "Pleiten, Pech und Pannen der Berliner Verkehrspolitik". Warum gibt es das dann nicht mehr? Wegen der massiv gestiegenen Charterpreise für den Bus kämen dabei Teilnehmerbeiträge heraus, bei denen sich der eine oder andere auf gut berlinerisch fragen mag: "Haben die sie noch alle?" Und wenn die Hälfte der Plätze leer bleibt, können wir als Verein das nicht dauerhaft subventionieren.
Aber zurück zum Thema: Es gibt sie noch, die Pleiten, das Pech und die Pannen der Berliner Verkehrspolitik.
Beispiele gefällig?
Die Posse um den Radweg in der Charlottenburger Kantstraße, die Busspur in der Clayallee, die Straßenbahn-Wendeschleife Blockdammweg, die Straßenbahn zum Ostkreuz, die wegen maroder Gleise bevorstehende Stilllegung der Linie 21, der erste Bauabschnitt der City S-Bahn, die Straßenbahn in Mahlsdorf oder auch die Knesebeckbrücke zwischen Steglitz-Zehlendorf und Teltow. Die Liste ließe sich wohl fortsetzen.
Und nun die U3?
Zugegeben, es gibt sicher Projekte mit höherem Nachfragpotential als es die kurze U3-Verlängerung darstellt. Richtig ist aber auch: die Lücke zwischen U-Bahnhof Krumme Lanke und S-Bahnhof Mexikoplatz "schreit" danach, geschlossen zu werden. Man muss kein Verkehrsplaner zu sein, um zu verstehen, dass ein dicht geknüpftes Netz mit neuen Umsteigebeziehungen zwischen Schnellbahnen zusätzliche Nachfrage generiert.
Vor diesem Hintergrund entstand zunächst die Idee "small is beautiful": wir verlängern nur ein Gleis des ohnehin schon relativ weit reichenden Tunnels und bauen vor der S-Bahn eine U-Bahnstation mit nur einer Bahnsteigkante. Relativ geringe Kosten, relativ schnell umsetzbar und der gegenwärtigen Fahrgastnachfrage durchaus entsprechend.
Daraus ist nun etwas ganz anderes geworden: Es geht unter der S-Bahn hindurch und südlich davon entsteht ein Bahnhof mit zwei Seitenbahnsteigen und sich anschließender Aufstell- und Kehranlage, die fast bis an die Potsdamer Chaussee reicht. Das ist teuer und aufwendig.
Widerspruch unterschätzt?
Nach dem Ende der Auslegungsfrist der Planunterlagen formiert sich nun Protest in Form einer, Sie ahnen es, Bürgerinitiative. Das diese relativ finanzkräftig ist, darf man getrost voraussetzen. Mit entsprechender Bildsprache werden wüste Behauptungen postuliert: "10 Jahre Horror-Baustelle", "CO2-Schleuder" und "Kein Nutzen für Fahrgäste" sind nur einige der Slogans. Es ist wie so oft (übrigens auch bei der Potsdamer Stammbahn): egoistische Interessen werden mit vermeintlich selbstlosen, gesamtgesellschaftlichen Argumenten verbrämt. Da sind die Anwohnenden in der Sonntagstraße allerdings bereits einen Schritt "weiter" – sie versuchen letzteres erst gar nicht.
Aktuelle Form der Bürgerbeteiligung noch zeitgemäß?
Wir sind nicht die Ersten, die sich die Frage stellen, ob die Bürgerbeteiligung in Deutschland in der vorhandenen Form noch zeitgemäß ist? Vereinfacht gesagt läuft es so, dass die Bürger im Zuge des Planfeststellungsverfahrens mit dem finalen Ergebnis konfrontiert werden und erst dann Gelegenheit zum Widerspruch besteht. Das Ergebnis ist hier zu besichtigen. Man muss kein Prophet sein, dass es Klagen geben wird und dass das einstmals als "schnell" und "klein" gedachte Projekt auf unabsehbare Zeit verzögert werden wird. Andere Länder machen es uns vor: die Bürgerbeteiligung viel früher und aktiv umsetzen, die Bürger "mit auf die Reise nehmen", Bedenken und Kritik ernstnehmen. Kommunikation auf der berühmten Augenhöhe erzeugt Akzeptanz. Wenn in Berlin die Senatsverwaltung über die Auslegung der Unterlagen im Zuge der Planfeststellung informiert, steht über der Anzeige: "Wir geben bekannt". Sagt das was?
Eines der bekannteren Beispiele: In Dänemark gab es 5 (in Worten: fünf) Einwendungen gegen das Projekt "Fehmarnbelt-Tunnel" zwischen Lolland und Fehmarn.
Ein Blick zurück in die Zukunft
Die großen Berliner Fernbahnhöfe des 19. Jahrhunderts? Vor den Toren der Stadt. Die Ringbahn? Vor den Toren der Stadt. Der Generalszug? In der Entstehungszeit zu groß. Die U-Bahn in das "Nirwana" Ruhleben? Für den Schnellbahnschluss Spandaus gedacht (der dann anders realisiert wurde).
Alle diese Beispiele zeigen: für die Zukunft, gedacht, geplant – und realisiert.
Wir dagegen bauen und planen im Hier und Jetzt: Bahnsteige zu lang? Kürzen wir auf die bestellte Zuglänge. Flächen ehemaliger (innerstädtischer) Güterbahnhöfe? Entwidmen und verkaufen. Überholgleise samt Weichen? Sparen wir uns.
Mit dem Blickwinkel vorhergehender Generationen kann man natürlich auch über die Möglichkeit einer Verlängerung der U-Bahn nach Düppel und Kleinmachnow nachdenken. Ob es dereinst notwendig wird, steht in den Sternen.
Dem entgegen stehen Kleinmut und Egoismen (eines sei klargestellt: niemand ist über eine Großbaustelle "vor der Tür" begeistert!), notwendig sind visionäres und generationenübergreifendes Denken sowie Zuversicht. Nicht nur in der Argentinischen Allee, am Mexikoplatz und in den umliegenden Straßen.
Gerade die Zuversicht stünde uns allen, den Autor eingeschlossen, gut zu Gesicht.
U-Bahntag des ViV auf dem Gelände der Betriebswerkstatt Grunewald der BVG
Nach langer Pause fand am 19.10.2024 wieder ein U-Bahntag des ViV e.V. statt. Eine Gruppe von rund 60 Mitgliedern und Gästen konnte den neuen JK-Zug der U-Bahn, die Komponentenwerkstatt der Betriebswerkstatt Grunewald und das heutige Regionalstellwerk Olympia-Stadion besichtigen. Begrüßt wurde die Gruppe durch die Bereichsleiterin der U-Bahn, Frau Grummini. Diese gab einen Überblick über die Geschichte und den Betrieb der Berliner U-Bahn. Der Leiter des U-Bahnmuseums, Herr Gorell, führte durch das U-Bahnmuseum im ehemals größten Reihenhebelstellwerk Europas. Wir danken der BVG, Frau Grummini und Ihren Mitarbeitern für diesen sehr informativen Blick hinter die Kulissen des Betriebsgeländes am U-Bahnhof Olympia-Stadion. Gerne werden wir auch in Zukunft eine solche Veranstaltung anbieten.
VIV-Shortcuts VIII
@bvg_kampagne nun auch bei DB-Fernverkehr?
Dieses Bild wirft Fragen auf: Hat die Selbstironie DB Fernverkehr gepackt? Macht Frau Nikutta nun auch das Marketing für DB Fernverkehr? Oder gar die berühmt-berüchtigte @bvg_kampagne? Wir wissen es nicht. Wer allerdings zwei Stunden, dazu gleich mehr, zu spät ankommt, findet es vielleicht nicht mehr ganz so witzig. BVG-Kunden können von der Unart, Schlechtleistung mit frechen Sprüchen "wegzuspielen", ein Lied singen. Aber das ist ja nun auch vorbei – zumindest auf "X". Die Matten, so liest man in Foren, sollen wie weiland die Zuglaufschilder ihre Liebhaber gefunden haben.
Kein Bahn-Bashing …
Bonn Hbf – der Sprinter-ICE 1159 nach Berlin, mit Halt im Bahnhof Zoo (!), steht bereit. Mit nur wenig Verspätung geht es los nach Kölle. Von "sprinten" ist zu dieser Zeit wenig zu merken – im Führerstand tönt es ständig "Störung, Störung" und der Zug kommt auf freier Strecke zum Stehen. Irgendwann geht es weiter. Der Navigator begründet die Verspätung in Köln Hbf mit einem "vorausfahrenden Zug". Nun ja.
Köln wird mit rd. 15 Minuten Verspätung verlassen und der Zugchef jubiliert: "Wir sind der Sprinter. Sie werden es kaum glauben, unser nächster Halt Berlin-Spandau." Es wird anders kommen. Hinter Hamm, in den Weiten Ostwestfalens, kommt der Zug zum Stehen. Dann ist der Strom weg, Personal verlässt den Zug. Man hört, ein Stromabnehmer sei verbogen. Nun, der ICE 4 hat zwei davon, aber die Transportleitung entscheidet, dass mit max. 100 km/h nach Bielefeld gefahren wird und der Zug dort endet. Es wartet der ebenfalls verspätete ICE 655 – sieben sehr gut gefüllte Wagen des 1159 sollen vom ebenfalls siebenteiligen 655 aufgenommen werden. Deshalb gibt das Zugteam den gut gemeinten Ratschlag, dass fünf Minuten später der ebenfalls verspätete 645 noch folgen würde und leerer sei. Ein Fehler, wie sich zeigen wird.
Denn in dem Augenblick, in dem sich die Türen des 655 schließen, vergrößert sich die Verspätung des 645 auf 20 Minuten. Am Ende werden es 90 Minuten sein. Der um 21:38 fahrende ICE 947 fällt gleich ganz aus. Irgendwann kommt dann die Doppeleinheit aus zwei ICE 4, wobei allerdings die erste in Bielefeld verbleibt. Stromabnehmerschaden. Statt um 22:03h erreicht der Reisende Berlin-Spandau um 00:25h.
Es sind nicht die technischen Schäden, die verstören. Es ist die Nicht-Kommunikation. Das Zugteam aus dem gestrandeten 1159 steht auf dem Bahnsteig, weiß selber nicht, ob sie nun nach Berlin oder in ihre "home base" zurück nach Köln fahren sollen. In Bielefeld Hbf steht niemand auf dem Bahnsteig, es gibt keinerlei Durchsagen. Außer natürlich die, die um Verständnis "for any inconvenience" bitten. Erstaunlich: keine Wut, kein Aufbäumen der Kundschaft mehr, es wird still ertragen. Das spätere Team im 645 gibt sich zerknirscht, muss es ausbaden. Man muss vor den Mitarbeitenden "an der Front" den Hut ziehen, denn es sind sie, die das Unternehmen beim Kunden vertreten müssen. Zuweilen gelingt das nur mit Selbstironie. Wo wir wieder bei der Fußmatte vom Anfang wären: "Am Anfang hatten wir kein Glück und dann kam auch noch Pech dazu."
Ein Bild zur #Verkehrswende
Versprochen wird "WLAN im Zug", "Steckdosen", "Komfort", "Barrierefreiheit" etc. etc. Mit dem Komfort ist es so eine Sache: Wer schon einmal in einem vollbesetzten TALENT II, z.B. auf dem RE7, gereist ist, bekommt ein anderes Komfortverständnis, als er oder sie es vielleicht aus dem Auto gewohnt ist. Sicher ist: Komfort und Einfachheit eines eigenen Autos wird der öffentliche Verkehr niemals erreichen können. Er kann sich dem aber annähern und die Nutzung möglichst angenehm machen. Dazu gehört auch das Umfeld, in dem ich mich bewege. Und da möchten wir Ihnen ein Bild unseres Lesers Matthias Krause nicht vorenthalten. Es wurde aufgenommen in Brandenburg/Havel und spricht für sich. Wer möchte da nicht den ÖV benutzen?
U-Bahnen – (fast) ganz automatisch
In Nürnberg fahren seit Jahren mehrere U-Bahnlinien vollautomatisch (sog. Level 4) in dichtem Takt. Nürnberg kann also nicht zu den Städten gehören, in denen lt. unserer Verkehrssenatorin "… alle 10, 15 Minuten eine Bahn" kommt. Nürnberg hat das System des Herstellers HONEYWELL nachgerüstet – ohne Bahnsteigsperren. Dumm nur, dass die Produktion eingestellt wurde, denn für Bestandssysteme war es schlichtweg genial. Berlin bekommt nun auf U5 und U8 bis Ende des Jahrzehnts/Anfang der Dreißiger einen Level 2-Betrieb – das ist assistiertes Fahren. Hatten wir übrigens auch schon für lange Zeit auf der U9. Vielleicht in Zeiten von Personalknappheit und der Schwierigkeit, ein Bestandssystem mit Bahnsteigtüren etc. technisch nachzurüsten, doch noch mal mit potentiellen Herstellern reden?
Veranstaltungshinweis
Und wo wir gerade bei der U-Bahn sind: Wir freuen uns, dass es dieses Jahr wieder eine Veranstaltung bei der Berliner U-Bahn geben wird! Der 19. Oktober ist dafür geplant. Save The Date!
Die EM, die Politik, die Bahn …
Die EM ist vorbei – der Pokal ist in Madrid und nicht in Marzahn. Die Bahn hat sich die obligatorische Häme abgeholt und mancher Politiker ergeht sich in Ratschlägen, wie es geht. Herr Bareiß, Mitglied des Bundestages, fordert zum Beispiel, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn müsse zurücktreten, wenn er zur Sanierung nicht fähig sei. Das ist zynisch.
Der Oppositionsführer fordert weniger Züge im Netz. "Das Netz ist zu voll" sagen auch seit längerer Zeit anerkannte Experten, die wir an dieser Stelle nicht namentlich nennen wollen. Nur: die Züge auf den Magistralen sind es auch, denn die Nachfrage im Fern- und Regionalverkehr ist ja, trotz aller Unzulänglichkeiten, da.
Wir geben zu: Wer in Legislaturperioden denkt, vielleicht auch denken muss, für den ist es natürlich reizvoller, ein Band bei der Streckeneröffnung zu zerschneiden oder wenigstens eine Taktverdichtung bekanntzugeben als die Änderung der Gleisgeometrie in Berlin-Spandau zu feiern.
… und der Deutschlandtakt
Wann haben Sie das letzte Mal was vom "Deutschlandtakt" gehört? Also 2030 und nicht 2070? Die Idee des Deutschlandtakts ist ja nicht nur ein Zielfahrplan, sondern als Voraussetzung dafür auch die Engpassbeseitigung zur Erhöhung der Kapazität. Das bleibt nach wie vor richtig und ist natürlich eine Aufgabe, die über eine Wahlperiode deutlich hinausgeht. Es wäre zu wünschen, dass es aus der Bevölkerung heraus den Wunsch nach einer besseren Eisenbahn gibt und so ein verkehrspolitischer Handlungsdruck entsteht. Nachhaltig.
In eigener Sache
Daher ist eigentlich JETZT die Zeit, in der Verkehrspolitik etwas zu bewegen. Ohne den sprichwörtlichen Schaum vor dem Mund, an der Sache orientiert und mit Leidenschaft für die Verbesserung des Angebots im öffentlichen Verkehr. Haben Sie schon mal über eine Mitgliedschaft im VIV nachgedacht?
Nun sind es eher "Longcuts" geworden, aber dafür haben Sie jetzt auch erstmal Ruhe vor uns. Wir verabschieden uns in die Sommerpause und wünschen Ihnen, liebe Leserinnen und Leser: Schöne Ferien!
Ihr VIV-Team
Zwischenruf …zur Berliner S-Bahn
Versuche mit elektrischen Fahrzeugen gab es im Berliner Nahverkehr schon vor deutlich mehr als 100 Jahren, aber gemeinhin gilt die Aufnahme des regulären elektrischen Betriebs zwischen Stettiner Bahnhof und Bernau am 08.08.1924 als Geburtsstunde der Berliner S-Bahn (wobei dieser Begriff erst später geprägt wurde).
Dieses Jubiläum feiern wir 2024 und wer auf die Website s-bahn-festival.berlin geht, erfährt folgendes: "Hier entsteht eine neue Internetpräsenz". Das ist schön und schließlich sind es ja noch fast zwei lange Monate bis zu den Feierlichkeiten. Immerhin: das Presse- und Informationsamt des Landes Berlin teilte am 25.04. grob mit, was geplant sei. Wir lassen uns überraschen.
Was ist eine S-Bahn?
Berlin, Hamburg, München, Frankfurt, Stuttgart und (mit Abstrichen) Rhein-Ruhr/Köln sind aus unserer Sicht wirkliche S-Bahnnetze, also urbane Verkehre in (meistens) dichtem Takt, die das Umland mit der Stadt verbinden und gebündelt durch die City geführt werden. Jeweils hohe Fahrgastnachfrage kennzeichnet diese Netze.
Und was nicht?
Das Breisgau hat eine, Rostock und Hannover auch, die Ortenau, die Rhein/Neckar-Region oder gleich ganz "Mitteldeutschland" – alles sogenannte S-Bahnen. Wobei man schon fragen darf, ob Verkehre nach Nienburg, Paderborn, Breisach, Seebrugg, Geithain oder Jüterbog mit der Marke "S-Bahn" richtig bezeichnet werden? Sei's drum: Wer will, kann im Stundentakt mit einer "S10" von Donaueschingen nach Titisee oder weiter über Kirch- nach Himmelzarten fahren. Man sieht zweierlei: Die Marke "S-Bahn" wird einerseits ein Stück weit ad absurdum geführt, andererseits hat sie Strahlkraft, denn es hört sich halt gut an, wenn man eine "S-Bahn" hat ….
"Wer billig kauft, kauft zweimal" …
… werden sie sich vielleicht in Hannover sagen, wo man das S-Bahn-Netz "privatisiert" hat. Wobei: der mit 66% größte Anteilseigner ist mitnichten "privat". Die von uns so bezeichneten "echten" S-Bahnen eint ein Merkmal: Infrastruktur, Fahrzeuge und Betrieb sind in einer Hand, also der bundeseigenen Deutschen Bahn AG (DB). Von Hannover führt der Weg geradewegs nach Berlin, denn auch hierzulande will (oder wollte?) man wieder mal alles anders machen. Für die Teilnetze "Stadtbahn" und "Nord-Süd" hat man eine dermaßen komplizierte Ausschreibung auf den Weg gebracht, dass selbst Experten es schwer haben, die vielen Kombinationsmöglichkeiten aufzuzählen.
Eine (!) der Legitimationen für dieses Vorgehen war "DB erzielt Monopolgewinne". Nur: Die DB ist ein Unternehmen "in Volkes Hand", denn Aktionär ist die Bundesrepublik Deutschland. Wenn ich als Inhaber mit den Leistungen meines Unternehmens nicht zufrieden bin, und das darf man sicher in manchen Bereichen sein, dann ist das eine Führungsaufgabe. In diesem Fall: VerkehrsPOLITIK. Dass Regionalisierungsmittel des Landes Berlin im Zweifel als Dividende an den DB-Eigentümer Bund ausgeschüttet werden, ist unseres Erachtens aus Nutzersicht zu vernachlässigen. Und wenn wir #Verkehrswende wollen, kann es nur um die Nutzerinnen und Nutzer gehen – gegenwärtige wie zukünftige.
Zersplitterung von Verantwortlichkeiten droht!
Ohne der Berliner Politik zu nahe treten zu wollen, aber ob man das Vertrauen aufbringen darf, dass am Tag X in Friedrichstraße der Umstieg von einer S2 des Betreibers A (der Züge von B nutzt) in eine S5 des Betreibers C (der wiederum Züge von D nutzt) klappt? Das alles übrigens auf Infrastruktur von DB InfraGO – und die Werkstättenfrage haben wir dann auch noch nicht geklärt. B und D übrigens müssen nach ein paar Jahren ihre Züge an das Land verkaufen …. Nein, die Zersplitterung von Verantwortlichkeiten kann unseres Erachtens dauerhaft nicht zuverlässig funktionieren, zumal im Falle von Störungen, Bauarbeiten etc. Im Kleinen erlebt man das schon heute bspw. beim RE1. Wenn die DB baut und Änderungen im Fahrplan notwendig werden, sucht man den RE1 vergebens (denn der ist ja ODEG). Fahrgastabitur.
Keine …
… Experimente! So lautete mal vor sehr vielen Jahren ein Wahlslogan zu einer Bundestagswahl. Und eigentlich möchte man das auch der Berliner Politik zurufen: Keine Experimente mit dem ÖPNV! Seht zu, wie Ihr aus der vergaberechtlichen Sackgasse kommt – aber bitte nicht auf dem Rücken der Nutzerinnen und Nutzer. Selbst Hamburg hat es mit seiner Gleichstrom-S-Bahn vergaberechtlich hinbekommen. Das sollte hier also auch gehen.
Und wo wir schon bei Wünschen sind
Der Berliner S-Bahn auch weiterhin gute und vor allem unfallfreie Fahrt in den nächsten 100 Jahren! Aus ausgebauter Infrastruktur (Bahnsteigkanten, zweite Gleise, Blockabstände, …), neuen Strecken (Siemensbahn, Stahnsdorf, Falkensee/Falkenhagener Feld, Grünau-Buch über den Außenring, …) und neuen Fahrzeugen (Stichwort 100 km/h, bessere Beschleunigung und Fahrgastinfo als in der BR 481, ….).
Zwischenruf …zur vom VBB organisierten Reise in die Oberpfalz
Der TAGESSPIEGEL titelt am 19.03.2024: "Lobbyismus-Vorwurf gegen Verkehrsverbund – VBB lädt Berliner Abgeordnete zu Hersteller von Magnetschwebebahn ein". Sie finden den Artikel hier, allerdings hinter einer sog. "Bezahlschranke".
Sofern der TAGESSPIEGEL korrekt berichtet, kann man die Reise durchaus kritisch sehen und hinterfragen. Es sind geladen die Mitglieder des Verkehrsausschusses, sofern sie den Regierungsparteien angehören, zwei Haushaltspolitiker (ebenfalls Vertreter der Regierungsparteien) sowie Vertreter*innen öffentlich-rechtlicher Institutionen. Wer aus der politischen Sphäre mitfahren möchte, muss nicht nur die Kosten tragen, sondern hat auch einen langen Tag vor sich, denn noch am gleichen Tag geht es aus der Oberpfalz wieder zurück nach Berlin. Nicht geladen sind Vertreter*innen der Opposition. Der VBB sei lediglich mit der Organisation beauftragt. Die (Bau-)Firma Bögl, um die es hier geht, ist gegenwärtig der einzige deutsche Anbieter der Magnetbahntechnologie und selbstverständlich hat das Unternehmen ein kommerzielles Interesse, die Technologie im Heimatland zu platzieren.
So weit, so klar. Es ist auch nicht ehrenrührig, wenn sich Fachleute oder politisch Verantwortliche ein neues Verkehrssystem bzw. eine neue Technologie live anschauen. Im Gegenteil.
Nur: Für Fahrgäste, die sich tagtäglich mit den Widrigkeiten des Alltags (die wir hier nicht wiederholen müssen) auseinandersetzen, ist "Magnetschwebebahn für Berlin" thematisch eher weit weg. Und trotz des in Berlin im allgemeinen wirklich gut ausgebauten Nahverkehrs haben wir im Hier und Heute so viele Herausforderungen, dass das Thema "Magnetbahn" nicht Ressourcen binden darf, die an anderer Stelle viel, viel dringender benötigt werden.
Wenn sich also die Teilnehmer*innen auf der Hin- und Rückreise in Gesprächen auch über Tunnelsanierungen, Personalknappheit, Automatisierung, zweite Gleise, Verkürzung von Blockabständen, zusätzlichen Bahnsteigkanten, Beschleunigungsmaßnahmen im Straßenraum und nicht zuletzt auch über die bestehenden Aus- und Neubauprojekte (z.B. i2030) produktiv austauschen, dann kann auch die Besichtigung und das Kennenlernen eines für Berlin neuen Verkehrsmittels nicht schaden. Die Prioritäten aber sollten bitte gewahrt bleiben!
Wir wünschen, ironiefrei, eine gute und erkenntnisreiche Reise.
PS: Sie lesen es in diesem "Zwischenruf" erneut: VIV versucht sich am Gendern. Wie stehen Sie dazu, liebe Lesende, liebe Leser*innen, liebe Leserinnen, liebe Leser?
VIV-Shortcuts VII
Was ist denn nur mit unserem Senat los? Nein, wir meinen nicht das Privatleben einzelner Mitglieder, sondern die Entscheidung, eine weitere Tram bauen zu wollen. Nach der Verbindung "Schöneweide – Gropiusstadt" nun also "S+U Jungfernheide via UTR (Sie wissen schon: Urban Tech Republic aka Flughafen Tegel) nach U Kurt-Schumacher-Platz". 2028 soll Baubeginn sein, 2030 die Fertigstellung. War noch was? Ach ja, die M10 muss dazu erstmal von U Turmstr. nach S+U Jungfernheide verlängert werden. Das schaffen wir schon … hier in Berlin ….
Es gibt sie noch, die Politiker, die im verkehrspolitischen Gestern ausharren. Dirk Stettner zum Beispiel, der Fraktionsvorsitzende der CDU, hat identifiziert, dass Berlin "… mobil und agil … " sein müsse. Wer wollte das bestreiten? Weiter wird er zitiert (Q: zeit.de), es sei ".. insbesondere Grünen und Linken << vorrangig um die Bekämpfung des Autos gegangen >> …". Also, wenn man sich in der Stadt so umschaut, hatten sie damit nicht so viel Erfolg.
Was macht eigentlich "Z21"? "Z21"? Nun, bei der Dauer der Bauarbeiten am Berliner Bahnhof Zoo könnte man (fast) Analogien zu einem Großprojekt in "Deutsch-Südwest" ziehen. Vorsichtshalber ist der Fertigstellungstermin mit Klebeband überklebt. Oder wird gar heimlich ein Tiefbahnhof gebaut, damit am Zoo wieder Fernverkehrszüge halten können? Wo wir gerade bei den ach so beliebten alternativen Fakten sind …
… Mathematik mal anders: Normalerweise verkehren auf der RB23 zweiteilige TALENT-Züge: ein Fünf- und ein Dreiteiler, also acht Wagen. Der ZZA ("Zugzielanzeiger") weist aus: "Ein Wagen fehlt"; man würde also von sieben ausgehen. Weit gefehlt: (5+3) - 1 = 5. Die Bahn, eine eigene Galaxie ….
Apropos, eigene Galaxie: Dazu gehören sicher auch die Urlauber-IC's nach Oberstdorf, die ab/bis Augsburg bzw. Stuttgart noch mit Diesellokomotiven der Baureihe 218 bespannt werden. In einem solchen Zug auf dem Weg von Oberstdorf nach Köln bittet die Zugchefin kurz vor Stuttgart um Aufmerksamkeit und verkündet, dass der Zug heute nur bis Stuttgart verkehre, weil, so wörtlich, der "Gegenzug verreckt" sei und die Garnitur in Oberstdorf gebraucht würde, also zurückfahren müsse. Für die Weiterfahrt wird ein ICE nach Berlin empfohlen; Fahrgäste Richtung Rheinland, dem eigentlichen Ziel des IC 2012 sollten doch in dem "Berlin-ICE" mitfahren und ab Mannheim sehen, wie sie "am besten" weiterkommen. Für Bahn-Aficionados sicher kein größeres Problem (außer: Reservierung weg, Gepäck tragen, Anschlüsse bekommen ….) ; für Gelegenheitsfahrgäste vielleicht schon. Am Ende sagt die Zugchefin, "entschuldigen werde ich mich nicht, schließlich können wir nichts dafür." Na, das sind mal motivierte Mitarbeitende!
Von Juni bis Dezember 2025 mutiert die Ausbaustrecke Berlin-Hamburg zum Hochleistungskorridor. Sie wird gesperrt (wie übrigens auch eine längere Zeit in 2024). Eine Ausweichstrecke via Stendal – Uelzen steht im Prinzip zur Verfügung, wenn, ja wenn, diese im Jahr 34 nach der Einheit nicht noch eingleisig wäre. Eine wichtige Ausweichstrecke und eine sog. "Seehafen-Hinterlandanbindung". Nun liest man von Streichungsplänen. Sie wissen schon: Sondervermögen, Schuldenbremse und so. Geht so die Verkehrswende? Investitionen nach aktueller Kassenlage?
VIV-Neujahrsempfang 2024 mit Ute Bonde (VBB)
Unser Neujahrsempfang am 06.02.2024 im DB Casino im Berliner Hauptbahnhof war wieder ein großer Erfolg. Mit über 80 Teilnehmern haben wir den Jahresbeginn gefeiert, uns zu aktuellen Themen der Verkehrspolitik ausgetauscht und vernetzt. Gastgeber war unser stellvertretender Vorsitzender, Patrick Steinhoff.
Als Highlight des Events trat auch in diesem Jahr unser Gast Ute Bonde auf, die Geschäftsführerin des Verkehrsverbunds Berlin-Brandenburg (VBB), die einen kurzen Über- und vor allem Ausblick darüber gab, was den VBB im Verlauf des Jahres 2024 beschäftigen wird. Dabei hat sie auch die „schwebenden Phantasien“ zum Projekt einer Magnetschwebebahn in Berlin neu befeuert, für die nun eine fünf bis sieben Kilometer lange Teststrecke gebaut werden soll. Einen Termin für den Baubeginn gibt es allerdings noch nicht. Ein spannendes Vorhaben jedenfalls, das im gewissen Kontrast zum doch manchmal tristen ÖPNV-Alltag steht. Für einigen Gesprächsstoff war damit gesorgt.
Ein leckerer kleiner Imbiss zum Selbstkostenpreis rundete die Feier ab.
Schwebende Phantasien
Nein, wir sind nicht gegen neue Techniken und auch nicht gegen neue Ideen. Wirklich nicht. Und wir sind der Meinung, dass wir grundsätzlich einen guten öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) in der Stadt haben – auch jenseits des S-Bahn-Rings. "Grundsätzlich" heißt nicht, dass alles und überall toll ist. Was aber soll eine Nutzerin, ein Nutzer des ÖPNV denken, der oder die beispielsweise auf dem tropfenden U-Bahnhof Ullsteinstraße auf den Zug wartet? Was der- oder diejenige, der/die im U-Bahnhof Schloßstraße an der U9 Richtung Norden auf einem seit Jahren, nun ja, im Rohbauzustand befindlichen, diffusen und unübersichtlichen Bahnsteig auf den Zug wartet? Was soll jemand denken, der oder die an einem eingleisigen Außenast der Berliner S-Bahn, z.B. nach Bernau, auf den verspäteten Zug wartet, weil seit Jahrzehnten kein zweites Gleis verlegt wird? Was ein Fahrgast der Ringbahn, der oder die wegen Verzögerungen im Betriebsablauf, Reparatur an einem Zug oder Weichenstörung ebenfalls auf den Zug wartet, obwohl wir seit Jahren zur Verbesserung der Betriebsqualität dritte Bahnsteigkanten bauen wollen? Und was soll ein Nutzer, eine Nutzerin denken, wenn demnächst wegen Personalmangels die BVG-Busleistungen weiter gekürzt werden? Und als Letztes: Was ein Fahrgast, der oder die auf einem Bahnhof warten muss, auf dem offen mit Drogen gehandelt und diese auch gleich an Ort und Stelle konsumiert werden?
Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Was also sollen diese angenommenen "Normal-User" denken, wenn sie nun von der Einführung einer Magnetschwebebahn lesen, sehen oder hören, deren Baubeginn noch in dieser Legislatur liegen soll? Letzteres übrigens ein Unding und erschreckend, mit welcher Unkenntnis sich führende Berliner Landespolitiker, und ein solcher ist ein Fraktionschef, äußern. Wir brauchen viele Jahre, um die U3 ein paar hundert Meter zur S-Bahn am Mexikoplatz zu verlängern, wollen aber innerhalb von drei Jahren eine Magnetbahn zu bauen beginnen? Ein Unding ist es auch, so ein Projekt unter der Überschrift "Wir wollen ein neues Verkehrssystem, müssen aber noch eine Anwendungsstrecke suchen" zu ventilieren. Sofern die Veröffentlichung gezielt und gewollt war, darf man schon fragen, ob das insgesamt nicht ein wenig unterkomplex geraten ist?
Wollen wir nicht erstmal unsere U-Bahntunnel und Stationen sanieren? Wollen wir nicht erstmal unsere U-Bahn automatisieren? Wollen wir uns nicht erstmal um unsere bestehenden Verkehrssysteme kümmern? Sie instandhalten oder auch instandsetzen und sie da ausbauen/erweitern, wo es jeweils Sinn macht? Wollen wir nicht endlich eingleisige Streckenabschnitte bei der S-Bahn beseitigen und die Ringbahn stabilisieren? Wollen wir nicht endlich die i2030-Projekte sichtbar (!) voranbringen? Wollen wir als Ziel unseren ÖPNV nicht so attraktiv gestalten, dass er auch für überzeugte Autofahrerinnen und Autofahrer zu einer Alternative werden und so die "Verkehrswende" zumindest in der Stadt gelingen kann?
Wahrscheinlich geht das Ganze ja aus wie das berühmte Schießen in Hornberg. Und das ist auch gut so.
Freundliche Grüße
Michael Rothe
"Zwischenruf" ... ein bißchen radlos ....
Nein, wir wollen nicht den billigen Gag – und verlassen mal eben unser Feld für einen kurzen Moment. Gestatten Sie uns bitte nur einen kurzen Gedanken, der natürlich nicht die Welt erklärt. Das macht sowieso nur die "42".
Wahrscheinlich ist es normal, dass Gesellschaften in Transformation und/oder Krisen gereizt und relevant viele Menschen auf Veränderungen aversiv reagieren: sei es bei einer vergleichsweisen Nebensächlichkeit wie dem Gendern, der Wärme-/Energieversorgung oder auch des Deutschen scheinbar noch immer liebsten Kind: dem Auto (in der Stadt!). Dinge aber ändern sich, Restauration scheint unmöglich. Nur ein Beispiel: eine Anstellung bei Siemens (bei VW, BASF, der Post, der Bahn, etc) wird nie wieder quasi beamtenhaft sein wie weiland in den Siebzigern/frühen Achtzigern der alten BRD. Das kommt nicht wieder, die Sicherheit ist weg. Und das gilt eben in vielen anderen Bereichen auch: wir brauchen (integrierte) Fachkräfte, massive wirtschaftliche Konkurrenz ist entstanden durch neue Player am Weltmarkt, der (menschengemachte) rapide Klimawandel, Krieg in Europa – all das sind massive Herausforderungen, die Unsicherheiten erzeugen. Umso wichtiger ist es, politisch zu erklären, was man tut, sich mit den Ängsten auseinanderzusetzen, sich der Diskussion zu stellen. Und die andere Seite, die sich, wie in Thüringen, nicht scheut, zu gut einem Drittel einen Extremisten wählen zu wollen? Es hilft nichts, aber "Politik" muss versuchen, wieder in den Diskurs zu kommen, einen Austausch der Meinungen zu ermöglichen. Denn es gilt nach wie vor die goldene Regel einer jeden Diskussion: Auch der andere könnte Recht haben!
Zurück in das Klein-Klein der Berliner Verkehrspolitik
Große Aufregung: die neue Verkehrssenatorin stoppt die Verkehrswende, kein einziger Parkplatz solle für einen Radweg "geopfert" werden, die Friedrichstraße wird wieder dem Auto Untertan gemacht und nun legt sie auch noch Axt an die Tram-Planungen. Die sogenannten serösen Zeitungen schäumen, die Radfahrer-Community tobt. Es ist sicher alles andere als ungewöhnlich, dass eine neue Regierung, ein neues Management, sich einen Überblick verschafft. Und, na klar, mit einer anderen verkehrspolitischen Ausrichtung kommt man wohl auch zu anderen Bewertungen.
Auch hier gilt: Ball flach halten!
Die Senatorin verweist auf den Koalitionsvertrag, nach dem der Ausbau des ÖPNV das Rückgrat der Verkehrswende sei. Wir finden: richtig! Natürlich solle der Radverkehr als integraler Teil der Verkehrswende gefördert, aber eben auch die Interessen der Autofahrenden berücksichtigt werden. Nun: die Interessen der Autofahrenden wurden in den letzten Jahrzehnten schon sehr berücksichtigt und den berühmten Gürtel enger zu schnallen (= Platz abgeben), fällt schwer. Nehmen Sie als Beispiel die Kantstraße in Charlottenburg oder die Sonnenallee in Neukölln: die sind so breit wie sie sind. Eine Park-, zwei Fahrspuren, eine ÖV-Spur (sei es als Schiene, sei es als Busspur) sowie auskömmliche Geh- und Radwege werden nicht funktionieren. Interessenkonflikte liegen auf der Hand. Und die müssen austariert werden, indem, ja, das ist so, genommen und gegeben wird, so dass am Ende ein Kompromiss steht, den man schneller findet, wann man miteinander redet, diskutiert, Argumente austauscht. Auch der andere könnte Recht haben.
Kompromiss
Der Kompromiss hat in der gegenwärtigen Diskussionskultur ein schlechtes Image. Vorzugsweise ist es ein "fauler" oder "mit dem geringsten gemeinsamen Nenner". Und natürlich braucht es in der medialen Dramaturgie "Gewinner" und "Verlierer", "Helden" und "Loser". Nein, der Kompromiss gehört dazu! Und nur so, mit Kompromissen, werden wir auch in der Berliner Verkehrspolitik weiterkommen – rüsten wir also einfach mal verbal ab. Auch der andere könnte Recht haben.
Freundliche Grüße
Michael Rothe
Zwischenruf zum Besten für Berlin
"Schlimmes wird uns widerfahren" muss man denken, wenn man die Reaktionen zum verkehrspolitischen Teil des Koalitionsvertrags auf Twitter, aber auch in Tageszeitungen wie "Berliner Zeitung" oder "Tagesspiegel" liest. Da ist vom Ende der Verkehrswende die Rede, das Auto gewinne wieder die Oberhand (die es in den letzten Jahrzehnten und bis heute immer hatte und hat!), A100 und TVO werden gegeißelt, der Straßenbahnbau komme zum Erliegen oder die Straßenbahn gleich abgeschafft. Viele der genannten U-Bahn-Projekte gingen gleich gar nicht, seien irreal und überflüssig. Und nun nominiert die CDU auch noch die "Cheflobbyistin der Berliner Baubranche" zur neuen Verkehrssenatorin (Quelle: Tagesspiegel vom 12.04.2023).
Der Koalitionsvertrag
"Wir wollen ein mobiles und nachhaltiges Berlin. Unsere Mobilitätspolitik setzt auf ein Miteinander und nicht auf ein Gegeneinander. Der Öffentliche Personennahverkehr ist ein entscheidender Faktor für ein mobiles Berlin. … Der Ausbau des [ÖPNV] in Berlin … [hat] einen hohen Stellenwert. Dazu gehören S- und U-Bahnlinien ebenso wie die Straßenbahn, mit denen wir vor allem auch in den Außenbezirken das Mobilitätsangebot verbessern wollen." So beginnt auf Seite 55 der Teil zu "Mobilität und Verkehr". Und ja, man bekennt sich auch zum Radverkehr. Nun ist so ein Koalitionsvertrag immer ein "Wünsch' Dir was" und beschreibt in breiter Prosa, was man alles möchte. Eines aber ist sicher: erstens kommt es anders, zweitens als man denkt (die "Ampel" im Bund kann ein Lied davon singen). Und so ein Koalitionsvertrag ist auch nicht dazu da, festzulegen, dass am 30. Februar 2029 um 11:17h der erste S-Bahnzug nach Gartenfeld fahren wird.
Missverständnis "Mobilitätswende"
Ging die Konfliktlinie um Raum und finanzielle Mittel jahrelang zwischen MIV und ÖPNV, so hat sie sich, das muss man den Lobbyisten des Radverkehrs zugestehen, seit Jahren verschoben. Unter Mobilitäts- bzw. Verkehrswende wird nun gemein-hin der Wandel vom MIV zum Radverkehr beschrieben. Folgerichtig verweist der verkehrspolitische Sprecher der CDU, Oliver Friederici, im rbb-Studio immer wieder auf die ÖPNV-Passagen im Koalitionsvertrag, während die Moderatorin in Richtung des Radverkehrs insistiert und das Gespräch sinngemäß mit der Bemerkung schließt, nun habe man zum Radver-kehr gar nichts gehört. Offenbar zählen aus Sicht der rbb-Abendschau ÖPNV-Projekte nicht zur Mobilitätswende, denn es war nicht der erste Beitrag in dieser Richtung. Insoweit ist dieser Vertrag aus unserer Sicht ein wohltuender Schritt nach vorne, weil er auch die Interessen der Menschen in den Blick nimmt, die nicht 20 km mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren wollen oder können, die aber vielleicht auch nicht Auto fahren können oder wollen. Oder diejenigen, die das Verkehrsmittel je nach Bedürfnis nutzen.
Und nun?
Es bleiben in der Restlegislatur ja nur noch drei Jahre Zeit. Tendenziell wird es die Straßenbahn schwerer haben, aber wer jahrelang hingebungsvoll diskutiert, wie denn nun die M10 den "Görli" queren soll anstatt Nägel mit Köpfen zu machen oder es nicht vermag, den Knoten Ostkreuz an das Netz anzuschließen, darf sich auch nicht wundern. Andererseits ist der Ansatz, mit ihr die Außenbezirke erschließen zu wollen, aus unserer Sicht ein logisch richtiger. Wir finden ja schon lange, dass Spandau ein gutes Beispiel wäre, verkehrspolitisch ein neues Angebot zu machen und gleichzeitig auch stadträumlich etwas zu tun. Ein Blick nach Frankreich lohnt …
Und die U-Bahn-Projekte? Sich nun mit jedem einzeln hier auseinandersetzen zu wollen, sprengte den Rahmen. Vieles wird "geprüft" und ob jemals eine Kleinprofil-U-Bahn Französisch Buchholz, das Falkenhagener Feld oder Falkenberg erreichen wird, wagen wir zu bezweifeln. Die U6 nach Lichtenrade? Parallelverkehr zur S2 bei noch bestehender Straßenbahntrasse (Parkplätze!) auf dem Lichtenrader Damm. Es steht also nicht zu befürchten, dass, siehe oben, die "Cheflobbyistin der Ber-liner Baubranche" 2024 oder 2025 die Maurerkelle schwingen wird, um eines der genannten Projekte zu beginnen. Schön wäre es ja, wenn sie es mindestens bei der U3 zum Mexikoplatz tun würde.
Was man kritisieren kann: dass durch die genannten Projekte Planungskapazitäten gebunden werden, die für konkretere und vielleicht auch heute schon wichtige Projekte gebraucht werden.
Interessante Details …
… finden sich mehrere. Z.B. die Tatsache, dass die Koalition für den "S-Bahn-Betrieb aus einer Hand" stehe. Da die Infra-struktur bekanntermaßen der DB gehört, kann das eigentlich nur heißen, dass man sich die Ausschreibungen "Nord-Süd" und "Stadtbahn" eigentlich sparen kann. Es sei denn, … aber ach, lassen wir das. Auch interessant: der "Stammbahn-Vor-laufbetrieb" Wannsee bis Rathaus Steglitz wie auch die sinnvolle Verwendung der Goerzbahn finden Erwähnung im Koali-tionsvertrag. Und sogar das Berliner S-Bahn-Museum sowie das 100-jährige Jubiläum der S-Bahn, 2024, werden aufgelistet.
Outlook
Schlimmes wird uns also nicht widerfahren und, siehe oben, erstens kommt es anders, zweitens als man denkt. Wir finden: es stehen viele vernünftige Dinge im Koalitionsvertrag und wenn das tatsächlich auch gelebt würde, wäre das schon mal ein guter Anfang. Verkehrspolitik gehört, so viel lässt sich sagen, auch weiter zu den zentralen Berliner Themen. Denen, die das zivilgesellschaftlich begleiten, wird die Arbeit also nicht ausgehen.
Wie heißt es so schön? Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Wir sollten also dem Neuen und den Neuen eine Chance geben.