Zwischenruf zu U-Bahn-Visionen

Und schon wieder ein Aufreger: Die BVG will das U-Bahnnetz langfristig um 170 km erweitern und vermehrt in die Außenbezirke bringen, um die oftmals beklagte Ungleichheit zwischen der Erschließung der Tarifgebiete A und B zu reduzieren.

Fangen wir mit dem Banalen an:

Wer heute, sagen wir mal, am U-Bahnhof Schlossstraße einsteigt und auf die U9 wartet, für den entstammen solcherlei Visionen sicher aus einer anderen Galaxie. Die Stationen in überschaubarer Zeit wieder auf Vordermann zu bringen, auf stark nachgefragten Innenstadtlinien wie der U5 nicht nur zuverlässig, sondern vielleicht auch einen dichteren Takt zu fahren, sind Ziele, die deutlich konkreter anmuten. Und weil wir mit der Verkehrswende ja Menschen überzeugen (nicht zwingen) wollen, auf das Auto zu verzichten, wären ein angenehmes, sauberes und sicheres Umfeld sowie entsprechende Fahrzeuge auch nicht das Schlechteste.

Nun ist also große Aufregung über ein 16-seitiges Papier, das in der Öffentlichkeit bis dato nicht bekannt ist. Von „Gut – Mut zu Ideen“ bis „Da hat jemand mit Buntstift ein irreales Linien-Wünsch‘ dir was zu Papier gebracht“, reichen die Reaktionen. Die Presse hat den Netzplan begierig aufgegriffen und alle ÖV-Interessierten arbeiten sich daran ab. Und es ist ja auch zu schön: die Stummellinie U4 vom Glambecker Ring in Marzahn bis zur Appenzeller Straße in Lichterfelde, die U3 von Düppel-Kleinmachnow bis Falkenberg. Beides übrigens Kleinprofil-Linien.

Angeblich wolle die BVG auf die Koalitionsverhandlungen einwirken und den beiden Parteien, den unterstellt wird, a) gegen die Straßenbahn und b) für das „Verbannen“ des öffentlichen Verkehrs unter die Erde zu sein, um c) den Autoverkehr nicht zu stören, eine Argumentationshilfe bieten. Wir sind also wieder grundsätzlich.

Daher wäre es hilfreich und richtig, wenn das Skizzenpapier in Gänze öffentlich diskutiert würde. Wenn bekannt würde, ob es ein wirkliches Konzept dahinter gibt? Ein Konzept, aus dem beispielsweise hervorgeht, wie sich U- und Straßenbahn ergänzen, wie mit dem sanierungsbedürftigen Bestandsnetz umgegangen wird und nicht zuletzt, wie sich dieses Zielnetz mit der Berliner S-Bahn und den „Express-S-Bahnen“ (RE, RB) sowie den Planungen hierzu vernetzt. Nur dann ist doch eine sinn- und wertvolle, verkehrspolitische Diskussion möglich.

Ein Beispiel: die U6 zur Nahariyastraße (Lichtenrade). Eine Strecke im weitesten Sinn parallel zur S2, die ehemalige Straßenbahntrasse auf dem Mittelstreifen des Lichtenrader Damms ist noch erkennbar vorhanden. Natürlich lohnt hier eine Diskussion, ob es langfristig zusätzlich einer U-Bahn bedarf, ob dereinst die Straßenbahn auf eigener Trasse von der Buckower Chaussee kommend fahren oder der Verkehr weiterhin mit dem Bus abgewickelt werden soll? Ohnehin reden wir hier über Zeiträume von mehreren Jahrzehnten.

Der Ansatz, auch einmal groß zu denken, ist vom Grunde her nicht schlecht. So braucht es de facto berlinweit Alternativen zum MIV. Viel zitierte Städte wie Paris oder Madrid, die im innerstädtischen Bereich nahezu autofreie Bereiche schaffen, investieren ebenfalls massiv in die Infrastruktur. Der Unterschied? Es wird offenbar weniger geredet, Machbarkeiten und Varianten immer und immer wieder geprüft, geredet etc., nein, es wird scheinbar einfach gemacht. So manches i2030 Projekt legt Zeugnis ab von unserem Zaudern und Zagen.

Deswegen: Macht das Skizzenpapier öffentlich! Lasst eine Diskussion zu, die substanzieller ist als irgendwelche Aufregungen bei Twitter & Co. So wie es jetzt ist, bleibt es eine Phantomdiskussion. Und lasst uns mit Hinblick auf den Klimawandel mutiger werden. Dann wird es auch was mit der Verkehrswende.