Zwischenruf zu Lobbyisten

Ein neuer Aufreger: Lobbyisten verhandeln den Berliner Koalitionsvertrag. Wir finden: Gut so!

Es wird ja nun niemand ernsthaft glauben, dass die Gefahr bestand, alle Amtsstuben Berlins würden als Ergebnis des Koalitionsvertrags, wenn sie es sowieso nicht schon sind, mit Microsoft-Produkten ausgestattet. Man kann den Monopolisten Microsoft sicher kritisch sehen und mit dem Betriebssystem Linux sowie Open-Source-Software das Monopol umgehen. Kann man machen. Ob es für eine komplexe und rückständige Verwaltung der Weg der Wahl ist, können wir nicht beurteilen. Aber der gedachte kausale Zusammenhang „Microsoft-Berlin-Chefin verschafft dem Arbeitgeber via Koalitionsverhandlungen attraktive Aufträge“ greift dann vielleicht doch ein bisschen kurz. Da gibt es für Lobbyisten sicher ganz andere Wege der Einflussnahme, z. B. durch Nutzung des Bundestagsausweises und diskreten Hintergrundgesprächen mit Abgeordneten.

Womit wir bei der Bahn wären. Die Deutsche Bahn in der Verfasstheit einer Aktengesellschaft gehört zu 100 % dem Staat, also Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, und auch dem Unterzeichner. Gewinne werden an den Bund ausgeschüttet. Etwaige Gewinne entstehen aus dem eigenwirtschaftlichen Fernverkehr, dem Verkauf von Trassen an Dritte („ODEG fährt auf Gleisen der DB Netz“) oder aus Regionalverkehr, der wiederum durch staatliche Regionalisierungsmittel finanziert wird. Gewinne entstehen möglicherweise auch durch die vielen internationalen Beteiligungen, nicht zuletzt am Logistiker Schenker. Man kann gerade die Aktivitäten jenseits des Kerngeschäfts oder auch den Zugang für Dritte auf das Netz kritisieren. Aber am Ende ist das ein Konzern „im Volkseigentum“ und übrigens Berlins wichtigster Arbeitgeber. Und nun besteht also die Gefahr, dass Alexander Kaczmarek in Koalitionsgesprächen dafür sorgt, dass die Deutsche Bahn die laufenden S-Bahn-Ausschreibungen gewinnt und andere Akteure das Nachsehen haben? Eine doch etwas plumpe Vorstellung.

Gerade die Arbeitsgruppe „Verkehr“ macht Mut; ist sie doch, neben anderen, mit Sven Heinemann (SPD) und eben jenem Alexander Kaczmarek (für die CDU) mit Persönlichkeiten besetzt, die nicht nur für das Thema „öffentlicher Verkehr“ brennen, sondern dazu auch noch nachgewiesenermaßen fachliche Expertise haben. Die „Verkehrspolitik“ sicher anders und umfassender interpretieren als nur „Friedrichstraße“, „Gräfekiez“, „Schikanieren von Autofahrenden“ oder „Pop-Up-Radwegen“. Die vielleicht ein verkehrspolitisches Ziel für Berlin in Zeiten des Klimawandels entwerfen können, das aber auch mehrheitsfähig und wenig konfrontativ ist. Das Verkehrspolitik nicht nur auf „Auto vs. Fahrrad“ reduziert, sondern auch die zahlreichen Fußgängerinnen und Fußgänger sowie Nutzerinnen und Nutzer der öffentlichen Verkehrsmittel im Blick hat. Lobbyisten für eine mehrheitsfähige Verkehrswende eben.

Und bevor Sie die Recherche bemühen:

Alexander Kaczmarek hat vor zwanzig Jahren, 2003, den VIV gegründet und ist heute auch unser Beirat. Ohne ihn in seiner dienstlichen Funktion könnten wir Ihnen manche interessante Veranstaltung nicht anbieten. Und nein, Alexander Kaczmarek hat den Autor dieser Zeilen weder ermutigt noch gar gedrängt. Das würden sich beide auch verbitten bzw. wäre unter Niveau. Weil es eben nicht so plump ist.

Freundliche Grüße
Michael Rothe