Zwischenruf zu einem Berliner „hidden champion“
Denkt man an den Bau von Schienenfahrzeugen in Deutschland, fallen dem einen oder anderen sicher noch die „üblichen Verdächtigen“ ein, unabhängig davon, ob sie noch am Markt sind oder nicht: die Klassiker Borsig, Schwartzkopff, Orenstein & Koppel und WUMAG, später dann AEG, Siemens, Krauss-Maffei MaK und ABB oder AdTranz und Bombardier (die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit).
Im Berliner Raum waren es für den Ostteil die Lokomotivbau Elektrotechnische Werke (LEW) „Hans Beimler“ in Hennigsdorf (heutige S-Bahnbaureihe 485, Kleinprofil-U-Bahnbaureihe „G“) und für den Westteil die „Waggon-Union“ in der Reinickendorfer Miraustraße, die so etwas wie der Hoflieferant der BVG war.
Dem Standort in Hennigsdorf, jetzt unter der Ägide von Alstom, geht es nach mehreren Eigentumswechseln scheinbar mehr schlecht als recht und die Waggon-Union als eigenständiges Unternehmen gibt es schon lange nicht mehr. Sie wurde von Bombardier übernommen, der Standort von der Miraustraße nach Wilhelmsruh verlegt.
Und genau hier hat sich in den letzten zwanzig Jahren in Berlin Seltenes ereignet: die erfolgreiche Entwicklung und Expansion eines Unternehmens des Maschinenbaus, in diesem Fall Schienenahrzeuge. Die Rede ist von der Schweizer Firma STADLER, die hier erfolgreich Fahrzeuge baut. Was dereinst mit kleinen Triebwagen begann, endet aktuell mit Zügen des Hochgeschwindigkeitsverkehrs (z. B. der „Giruno“ für die SBB) und der sechsachsigen Hybridlokomotive „Eurodual“ (für den Betrieb mit Diesel und mit Oberleitung), die mit deutlich über 100 t kein Leichtgewicht ist. Beide Produkte werden zwar nicht in Berlin gebaut, dafür aber die neue Berliner S-Bahnbaureihe 483/484, von der bereits etliche Exemplare auf den Linien S8, S46, S47 und demnächst S41/S42 in Betrieb sind.
Der VIV hatte dieser Tage die Gelegenheit, die Produktion ansehen zu dürfen und konnte feststellen, dass die Produktion der vierteiligen Baureihe 484 bei den laufenden Nummern um die fünfzig angekommen ist und auch die Prototypen der neuen Berliner U-Bahnen vom Typ J/JK ihrer Fertigstellung entgegensehen (hoffen wir aus Fahrgastsicht, dass sie innen weniger verbaut wirken als ihre Vorgänger IK aus gleichem Hause). Deutlich über 1.000 Mitarbeitende hat das Werk inzwischen und Geschäftsführer Jure Mikolčić ist sichtlich stolz auf den Spirit eines mittelständischen Unternehmens, das flexibel agieren könne und auch unter den gegebenen schwierigen Umständen (Stichworte „Lieferketten“, „Preisentwicklung“, …) bei Problemen nicht die Schuldfrage in den Mittelpunkt stelle, sondern nach Lösungen im Sinne des Kunden suche. Offenbar überzeugt dieses Konzept viele Eisenbahnverkehrsunternehmen.
In einer Region, die mit produzierenden, innovativen Unternehmen nicht eben reich gesegnet ist und die nach wie vor jeden qualifizierten Arbeitsplatz gebrauchen kann, ist so eine Ansiedlung ganz sicher ein Leuchtturm. Nur mit Start-ups, Tourismus, Kultur und Politik/Verwaltung/Verbänden geht es eben auch nicht. Und deswegen wünschen wir dem STADLER-Team weiterhin viel Erfolg!