Ein Zwischenruf zu Berliner U-Bahn-Diskussionen

Was ist denn nur in die Berliner Verkehrspolitik gefahren? Lebten wir im Rheinland, könnten wir es ja noch verstehen – Aschermittwoch ist erst morgen.

So wird im nun gerade anlaufenden Wahlkampf um U-Bahn-Verlängerungen gestritten, nein, nicht, als gäbe es kein morgen, aber als ob es keine knappen Mittel gäbe, keine Notwendigkeit einer flächendeckenden Verkehrswende mindestens in den Städten.

Man tritt den Regierenden wohl nicht zu nahe, wenn man nach fast viereinhalb Jahren Legislatur feststellt, dass es für den öffentlichen Verkehr wiederum vier verlorene Jahre waren (für den motorisierten Individualverkehr eher vier gewonnene …). Die U5 war fast schon fertig, die Flughafenanbindung war es bereits. Ansonsten ein paar Leuchtturmprojekte: Pop-Up-Radwege (deren Zustand z. B. in der Kantstraße schon jetzt erbärmlich ist), eine Straßenbahnstrecke an der Peripherie im Bau, eine mitten in der Stadt planfestgestellt (aber noch ohne Baubeginn), die Projekte „Ostkreuz“, „Mahlsdorf“ oder gar „Leipziger Straße“ dümpeln vor sich hin. Und gerade die Straßenbahnverfechter verloren sich zuweilen in unseligen Diskussionen über die Gertraudenbrücke oder die Querung des Görlitzer Parks. Das mag im Detail wichtig sein, aber im Hier und Heute hätte es darum gehen müssen, für Akzeptanz zu werben, auch bei verkehrspolitisch Uninteressierten und/oder eingefleischten Autofahrenden. Kurz: Lust zu machen auf neue urbane Formen der Mobilität.

Was wurde vorangebracht bei den Vorrangschaltungen für Bus und Straßenbahn? Was bei Busspuren? Was bei Tarifmodellen für Gelegenheitsfahrer an der Schwelle zum Stammkunden? Und nicht zuletzt: Was bei den i2030-Projekten? Entscheidungen zur Stammbahn, zum Korridor Spandau-Nauen, zum zweigleisigen Ausbau der S-Bahn-Außenäste? Bei allen Projekten: Fehlanzeige. Und selbst bei dem Projekt „Siemensbahn“ ist zu befürchten, dass, weil alles mit allem vermengt wird, es zu Verzögerungen kommen wird. Weil man nämlich jahrelang darüber streiten kann, wie eines fernen Tages die Strecke verlängert werden wird. Und wenn man diskutiert, muss man keine Entscheidungen treffen. Womit wir wieder bei den übrigen i2030-Projekten wären …

Sind also Machbarkeitsstudien zu einzelnen U-Bahn-Verlängerungen (übrigens alle an der Peripherie, wo es möglicherweise sinnvollere Verkehrsmittel gibt) „Verkehrspolitik aus einem Guss“? Wohl kaum.

Normalerweise würde man erwarten, dass an erster Stelle die Formulierung eines Ziels steht, z. B. in der Beantwortung der Frage, wie Verkehr in Berlin in zehn, fünfzehn Jahren organisiert werden soll? Hat man dazu eine breite gesellschaftliche Akzeptanz (und dazu gehören z. B. auch heute noch Autofahrende), leiten sich daraus konkrete Maßnahmen und auch Verkehrsmittel ab. So „schreit“ unseres Erachtens die mittlere Großstadt Spandau gerade nach einem flächendeckenden Schienenverkehrsmittel: der Straßenbahn. Und man wird die Diskussion um die (Neu-)Verteilung der knappen zur Verfügung stehenden Verkehrsfläche führen müssen, z. B. wenn man eine Straßenbahn durch Potsdamer und Hauptstraße parallel zur S1 und als Ersatz für die Buslinien M48 und M85 nach Steglitz schicken will.

Selbstverständlich gehören dazu auch U-Bahn-Projekte. Es wäre ja albern, wenn man die U3 nicht für überschaubares Geld zum S-Bahnhof Mexikoplatz verlängerte. Das aber ist eine Marginalie. Was eigentlich ist mit der U9 nach Lankwitz im Süden und nach Pankow im Norden? Und, sehr weit in die Zukunft gedacht, was mit einer neuen Linie nach Weißensee, weil hier offenbar die Straßenbahn an Grenzen kommt? Wo aber „Butter“ ist, ist meistens auch „Brot“: die Berliner U-Bahn ist in ihren ältesten Teilen fast 120 Jahre alt und viele Tunnel bedürfen einer grundlegenden Sanierung. Dummerweise kostet das eine Menge Geld.

Und die U7 zum BER? Nun, bevor man dies zu „einer nationalen Angelegenheit“ erklärt (ob das Menschen in Niebüll, Breisach oder Freilassing auch so sehen?), sollte man vielleicht mal mit den Nachbarn in Brandenburg sprechen, wie das dort gesehen wird. Da aus heutiger Sicht nicht zu erwarten ist, dass Schönefeld nach Berlin eingemeindet wird, würden wesentliche Teile dieser Verlängerung über Brandenburger Gebiet laufen, also auch dort finanziert werden müssen.

Und eines lässt sich heute vermutlich noch gar nicht abschätzen: Der Zustand der öffentlichen Haushalte „nach“ Corona. Zu befürchten ist: nichts Gutes.

Mit unserem kleinen Zwischenruf können wir nicht alles abdecken, was zum Thema zu sagen wäre. Natürlich nicht. Aber die Verengung der verkehrspolitischen Diskussion auf ein paar U-Bahn-Verlängerungen ist aus unserer Sicht nicht zielführend und dem Thema auch nicht angemessen. Denn wenn es stimmt, und wir zweifeln nicht daran, dass wir vor einer weiteren globalen Herausforderung in Form einer Veränderung des Klimas stehen (oder uns bereits darin befinden), müssen wir unseren Energieverbrauch mindestens verändern und auch reduzieren. Dies bedeutet wohl auch, dass wir die Organisation von Verkehr zunächst dort, wo es noch am leichtesten ist, in den Städten, verändern (müssen). Dies nicht als freudlose, verzichtsorientierte, sondern faszinierende Perspektive zu formulieren (und dann auch zu akzeptieren), ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Es ist eine (verkehrs)politische Aufgabe!