Ein Zwischenruf zum Bahnalltag im (Berliner) Regionalverkehr

Stellen Sie sich vor:

Eine Dame mittleren Alters, gepflegt, mit kleinem Rollkoffer, offenbar eher bahnunerfahren, steigt an einem Berliner Vorortbahnhof in den RE7. Der Zug ist, obwohl der Berufsverkehr vorbei ist, gut gefüllt. Zum Einsatz kommt ein Elektrotriebzug des Typs „TALENT“.

Unsere Dame, offenbar auf dem Weg zum Berliner Hauptbahnhof, sucht also einen Platz für sich und ihren Koffer.

Erster Versuch: Mehrzweckabteil

Hier sitzen viele „Normalreisende“, für die dieses Abteil eigentlich nicht gemacht ist, Und weil die Klappsitze so schmal sind, möchte sich unsere Reisende nicht auf den freien Sitz zwischen zwei Herren drängen. Gegenüber sitzt eine etwas korpulentere Dame, die, versunken in ihrem Mobiltelefon, drei Sitze beansprucht. In der Mitte sie, links und rechts „überhängend“. Da sie von ihrer Umwelt entkoppelt erscheint, findet sie auch nichts dabei, drei Sitzplätze zu belegen.

Zweiter Versuch: eine Zweierreihe

Am Fenster sitzt scheinbar eine Studentin, vor sich auf dem Klapptischchen das Laptop. Auf dem Gangplatz, der Zug ist gut gefüllt, liegt der Rucksack. Auf die Frage unserer Reisenden, ob sie sich setzen dürfe, kommt die Erwiderung: „Nein, geht grad nicht“.

Dritter Versuch: noch eine Zweierreihe

Auf dem Gangplatz sitzt ein Herr mittleren Alters, auch sehr gepflegt, verkabelt. Es folgt die Frage, ob sie sich setzen dürfe. Der Herr, ein wenig mürrisch, steht auf. Unsere Reisende, offenbar in Sorge um ihren Koffer, quetscht erst ihren Koffer in den Fußraum des Fensterplatzes, dann sich selbst. Der Herr, noch mürrischer schauend, beobachtet regungslos die Szenerie. Unsere Reisende stellt fest: läuft nicht. Also wieder zurück, den Herrn fragend, ob er nicht vielleicht an das Fenster durchrutschen könne. Nach kurzer Erläuterung, warum das schlecht sei, geht es nun doch. Unsere Reisende sitzt endlich, neben sich den kleinen Rollkoffer, der nun den Gang fast versperrt.

Diese kleine Geschichte sagt ein wenig was aus über das menschliche „Miteinander“ in der Gegenwart. Aber das ist hier gar nicht das Thema.

Der Zug ist modern. Er ist leise, barrierefrei, klimatisiert, beschleunigt schnell, ist sauber und bietet Steckdosen. Er ist vom Aufgabenträger so bestellt und bietet formal Komfort.

Und doch bietet er eines nicht: Platz! Die Sitze sind schmal, sehr schmal. Er ist eng, jedenfalls wenn er gut gefüllt ist. Er ist für Reisende mit Gepäck, und solche soll es in einem Regionalexpress auch geben, einfach nicht gemacht. Und wenn man bedenkt, dass die Eisenbahn auch immer mit dem Auto konkurriert, dann möchte man den Aufgabenträgern zurufen:

„Denkt an den Alltag! Denkt an die Praxis und weniger formal! Denkt an die Fahrgäste!“

Freundliche Grüße
Michael Rothe