Ein Zwischenruf zur Berliner U-Bahn

Selten haben wir uns mit einem vorgesehenen „Zwischenruf“ so schwergetan wie mit dem schon lange in der Planung befindlichen und auch eigentlichen fertigen zum automatischen und ggf. auch fahrerlosen Betrieb der U-Bahn.

Auslöser war der in  einigen Jahren vorgesehene Umbau der beiden Linien U5 und U8 auf automatischen, aber nicht fahrerlosen Betrieb. Fachleute differenzieren in die „Grades of Automation“ (GoA). So ist eine Straßenbahn in aller Regel GoA0, was schlicht bedeutet: „Fahrer/Fahrerin fährt auf Sicht“. Stand der Technik ist GoA4: „automatisierter Zugbetrieb, automatisierte Türsteuerung und automatisierte Bewältigung von Notfällen. Im Zug befindet sich keinerlei Personal (unattended train operation (UTO))“. Berlin will wohl auf den beiden genannten Linien GoA2 einführen, was bedeutet: „automatisierte Beschleunigungs- und Bremsvorgänge, Fahrzeugführer rüstet den Zug auf und ab, kontrolliert die Türsteuerung, kann bei Bedarf den Zug selbst steuern und bewältigt Notfallsituationen (halbautomatischer Betrieb, semi-automatic train operation (STO))“.

Und so entstand folgender Text:

In Abwandlung eines bereits etwas älteren Schlagers könnte man die Überschrift wählen: „Fahrerlos … durch die Nacht …“.

Das autonome Fahren ist seit geraumer Zeit in aller Munde und man könnte fast den Eindruck bekommen, es sei im übertragenen Sinne schon morgen soweit. Wer in seinem Auto einen Abstandsassistenten hat, ahnt, dass es bis zum vollkommen autonomen Fahren noch ein langer Weg sein muss. Fahrzeuge, die sich im Straßenraum bewegen, müssen eben sehr, sehr viele Informationen erfassen und verarbeiten. Und dazu gehört beispielsweise nicht nur das, was das direkt vorausfahrende Fahrzeug macht, sondern auch die Fahrzeuge davor. Der Mensch kann das – jedenfalls, solange er nicht auf sein Handy starrt …

Wir jedenfalls sind skeptisch, ob in fünf oder zehn Jahren der Verkehr tatsächlich vollautonom abläuft, wir in Großsiedlungen an jeder Stelle unsere Fahrzeuge elektrisch aufladen können und der Paketbote von der Drohne abgelöst worden ist. Von Flugtaxis ganz zu schweigen …

Aber wie ist es mit Systemen, die sich in einem weitgehend abgeschlossenen Raum bewegen? U-Bahnen zum Beispiel.

Wer schon einmal die Nürnberger U-Bahn besucht hat (der VIV war im Mai dort), kann nur staunen. Von drei Linien fahren zwei fahrerlos; ein Mischbetrieb ist möglich. Dort, wo normalerweise der Führerstand ist, befindet sich eine Panoramascheibe; Fahrgäste bekommen im wahrsten Sinne des Wortes den Tunnelblick dargeboten. Es ist einer der beliebtesten Plätze im Zug.

Der automatische Betrieb existiert seit zehn Jahren und wurde in ein bestehendes System implementiert. Dabei wurden die Stationen nicht mit Glaswänden und -türen ausgerüstet, sondern das Gleisbett wird, Ingenieure mögen dem Autor die laienhafte Ausdrucksweise nachsehen, radarüberwacht. Fällt etwas in das Gleis und wird als Mensch identifiziert, bremst der Zug sofort. Für „Mensch“ spricht beispielsweise der Wassergehalt. Wird eine große Tasche vor den Zug geworfen, bremst er nicht. Ist in der Tasche eine relevante Menge Wasser, bremst er. Unfälle hat es in den zehn Jahren keine gegeben. Springt jemand direkt vor den einfahrenden Zug, können die Grenzen der Physik natürlich nicht überwunden werden. Was der Nürnberger Verkehrsgesellschaft wichtig ist: Kommunikation! Bei jeglicher Unregelmäßigkeit, und sei es nur ein kurzer Halt im Tunnel, meldet sich die Leitstelle, um die Passagiere zu informieren.

Und was haben die Fahrgäste davon? Sehr viel, denn die Nürnberger setzen kurze Züge ein, dafür aber in sehr hoher Taktung. Personalkosten entstehen für die vielen Züge ja nicht.

Was macht nun das Verkehrskompetenzzentrum Berlin?

Spötter würden vielleicht sagen, „die schrauben wie nach dem Krieg Bretter an ihre schmalen U-Bahnen und sind froh über einen halbwegs stabilen 5-Min-Takt in der City“.  Man tritt den U-Bahn-Verantwortlichen sicher nicht zu nahe, wenn man feststellt, dass die Berliner U-Bahn alles andere als technisch innovativ ist. Und ja, es war die Politik, die nicht die Haushaltsmittel für neue Fahrzeuge freigab und die die U-Bahn als „So-da-Verkehrsmittel“ betrachtete. Fuhr halt.

Getestet hat man im Laufe der Jahre viel: Bereits in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts auf der U4, dann auf der U9 (wo der Fahrer nur noch den Startknopf betätigte) und später auf der U5. Aber es waren eben immer nur Testphasen. Heute ist das vollautomatische Fahren technisch kein Problem mehr und wird in mehreren Metropolen auch gemacht.

Soweit ein Teil des ursprünglichen Textes.

Die Berliner U-Bahn wird im Februar 2020 118 Jahre alt. Jedenfalls auf ihren ältesten Streckenabschnitten. Wesentliche Teile des Netzes sind in den wirtschaftlich schwierigen zwanziger und dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts entstanden. Wie es um die Bauqualität der fünfziger und sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts bestellt ist, können Experten besser beurteilen als wir. Und eben jene Experten gaben auf diesen Entwurf und nicht zuletzt bei unserer Rundfahrt am 26.09.2019 den eindringlichen Hinweis, dass der Berliner U-Bahn auf vielen Streckenabschnitten eine Generalsanierung, insbesondere natürlich der Tunnelbauwerke, bevorstehe.

Also, allein die Automatisierung ist es nicht. Das fängt mit der Frage, ob die Bahnsteige dafür konstruktiv ausgelegt sind, an und hört beim Denkmalschutz noch lange nicht auf. Level 4 würde bedeuten, dass man ein ganzes Bestandsnetz mit Bahnsteigsperren nachrüstet. Und Bahnsteigsperre meint nicht die gute alte „Wanne“, sondern den Aufbau von Wänden entlang der Bahnsteigkante, die den Weg nur freigeben, wenn ein Zug, vielleicht auch noch verschiedene Typen mit untersschiedlichen Türpositionen, zum Halten gekommen ist.

Übrigens, das Nürnberger Modell mit dem radarüberwachten Gleiskörper ist auch keine Zukunftslösung, denn, so hörten wir auf unserer Nürnberg-Reise im Frühjahr, der Hersteller wolle das System mittelfristig nicht weiter anbieten und unterhalten. Insoweit bleibt Nürnberg eine Ausnahme und wohl, leider, ein Auslaufmodell.

Man kann leicht sehen: so einfach ist es nicht. Was also tun?

Vielleicht würde ja schon einmal helfen, ein Ziel zu formulieren, was – sehr grob gefasst – z. B. so lauten könnte:

Die Berliner U-Bahn ist ein für die (Innen-)Stadt essentielles Schnellverkehrssystem. Wir wollen das teils in die Jahre gekommene System auch für die nächsten hundert Jahre fit machen und als Verkehrskompentenzzentrum Berlin den modernsten Stand der Technik, soweit er sich in einem Bestandsnetz realisieren lässt, anwenden.  Dazu gehört auch der Betrieb nach GoA4, denn bei einer U-Bahn handelt es sich um ein geschlossenes System, das sich vergleichsweise leicht automatisieren lässt. Um dieses Ziel zu erreichen, werden wir Linie für Linie generalsanieren und technisch entsprechend ertüchtigen.

Selbstverständlich würde man heutzutage eine komplett neue U-Bahnlinie, z. B. eine Expressverbindung von Weißensee in die City, als Ergänzung zur Straßenbahn mit nur wenigen Haltepunkten nach neuesten technischen Standards bauen. Nur: ist das absehbar?

Und was ist mit den Jobs? Wenn es, siehe oben, stimmt, dass vollautomatisches Fahren in offenen Systemen, also beispielsweise Tram und Eisenbahn, noch eine Weile auf sich warten lässt, dann werden dort Fahrerinnen und Fahrer, Lokführerinnen und Lokführer dringend benötigt. Wer sich an einer zugigen Straßenbahnhaltestelle oder auf einem Regionalbahnsteig über den wegen Personalmangels ausgefallenen Zug ärgern muss, weiß, was gemeint ist.

Freundliche Grüße
Michael Rothe