Ein Zwischenruf zu „Pop-up“
Wir versuchen uns einmal an einem Newsletter ohne das „C-Wort“. Mal schauen, ob es gelingt …
„Pop-up“ ist seit einiger Zeit Mode. Mit Pop-up-Stores fing es an, nun haben wir Pop-up-Radwege und ganz bestimmt auch sehr bald Pop-up-Busspuren.
Was aber ist „Pop-up“? Es ließe sich übersetzen mit „plötzlich auftauchen“ oder „aus dem Boden schießen“. Bei den Stores, also Läden, handelt(e) es sich um provisorisch anmutende Geschäfte, regelmäßig in Szenebezirken, die oft nur für eine überschaubare Zeit eingerichtet werden bzw. wurden.
Nun haben wir äußere Umstände, die in manchen Innenstadtbezirken die Verwaltung so auf Trab bringen, dass auf Hauptstraßen der bisherige Park- in einen Fahrradstreifen umgewidmet wird. Gelbe Klebefolien zum Markieren, links elegante rot-weiße Baustellenbaken – fertig ist der Radweg. „Pop-up“ eben. Da staunt der Laie und der Fachmann wundert sich, zu welchen Leistungen die Berliner Verwaltung fähig ist. Und offenbar ist beabsichtigt, im Zuge des Mobilitätsgesetzes einen Großteil dieser Radwege beizubehalten. Dies kann man begrüßen und hoffen, dass dann auch zügig eine stadträumliche Gestaltung erfolgt, die die rot-weißen Baustellenbaken nicht zum Dauerzustand werden lässt. Man staunt aber auch, wie es, wenn wir das Wort gebrauchen dürfen, der Radverkehrslobby dieses Mal gelungen ist, ihre Interessen durchzusetzen. Offenbar ist der Gralshüter der Autofahrenden, der ADAC, selber überrascht, denn den großen Aufschrei über wegfallende Parkplätze und/oder Fahrspuren, und nur so können diese Radwege ja eingerichtet werden, haben wir nicht vernommen.
Wo aber bleibt der „Pop-up“-Gedanke bem ÖPNV, namentlich der BVG? Es soll ja nicht-autofahrende Menschen geben, die ihre Wege aus den verschiedensten Gründen nicht mit dem Fahrrad machen können oder wollen. Oder diejenigen, die mal das Fahrrad, mal den ÖPNV und vielleicht sogar auch mal ein Auto benutzen.
Hier hat sich die politische Führung scheinbar verabschiedet und ihre Anstalt öffentlichen Rechts gewähren lassen: Abgeklebte Busfahrpläne, die Kundinnen und Kunden ohne Smartphone ratlos zurücklassen oder stark ausgedünnte U-Bahn-Fahrpläne, die genau das verursachen, was wir gerade vermeiden sollen: Nähe.
Zugegeben, es braucht gegenwärtig womöglich keinen 5-Minutentakt auf der U3 nach Krumme Lanke oder der U8 nach Wittenau. Vielleicht auch nicht auf der U7 nach Spandau, weil da eine für viele schnellere Alternative in Form des Regionalverkehrs und der S-Bahn besteht. Aber warum gab es auf den zentralen Abschnitten der U-Bahnlinien keine regelmäßig verkehrenden „Einsetzer“, die den 5-Minuten-Takt auf auch in der Krise relativ stark nachgefragten Innenstadtbereichen sicherstellten? Logistisch zu aufwendig? Jedenfalls nicht „Pop-up“, sondern eher „Schema F“. So wirkte es jedenfalls für den Außenstehenden.
Und nachdem man sich in der politischen Führung in Bezug auf den Radverkehr auf das Mobilitätsgesetz beruft, wird es hohe Zeit, dass Gleiches auch für die Nutzerinnen und Nutzer des ÖPNV gilt! Sicher, es kann keine „Pop-up i2030“- oder „Pop-up-Straßenbahn“-Projekte geben – leider. Aber schnell umzusetzende Maßnahmen wie Ampelvorrangschaltungen für Bus und Straßenbahn oder, noch einfacher, die Einrichtung neuer Busspuren sollten jetzt möglich sein.
Damit die nach wie vor dringend notwendige Verkehrswende vorankommt. Zum einen, um den knappen Platz in den Ballungszentren intelligenter zu nutzen als in den vergangenen sechzig Jahren. Zum anderen, und das ist noch wichtiger, der durch die Menschheit im wahrsten Sinne des Wortes befeuerte Klimawandel, der uns nach Lage der Dinge vor ganz andere Herausforderungen stellen wird als die derzeitige Krise. Möchten wir uns ausmalen, was passiert, wenn, um nur einen Aspekt zu nennen, nicht nur das Hygienepapier knapp wird, sondern infolge der Trockenheit das Trinkwasser? Lieber nicht.
Am Ende angekommen können wir feststellen: ein Text ohne das C-Wort. Harmloser wird es dadurch allerdings nicht.
Wir wünschen Ihnen allen Gesundheit und bleiben Sie bitte weiterhin vernünftig und besonnen.
Freundliche Grüße
Michael Rothe