Ein (weiterer) Zwischenruf zur S-Bahn-Ausschreibung
Die S-Bahn-Ausschreibung der beiden Teilnetze „Nord-Süd“ und „Stadtbahn“ ist nun, fast, auf dem Weg. Bereits heute, bei der „einheitlichen“ S-Bahn, sind mehrere Unternehmen des im Bundesbesitz befindlichen Konzerns Deutsche Bahn AG beteiligt. Und der geneigte Fahrgast, der sich ein wenig mit der Thematik beschäftigt, hat bereits heute zuweilen das Gefühl, dass es mit der Abstimmung nicht ganz so einfach ist. Untermauert wird dies durch die vom Konzernbevollmächtigten der Deutschen Bahn für das Land Berlin, Alexander Kaczmarek, initiierte „Qualitätsoffensive“, bei der alle Beteiligten an den berühmten runden Tisch geladen wurden, um Probleme übergreifend zu definieren und schlussendlich auch zu lösen. Und wenige Firmen sind es bereits heute nicht: natürlich die S-Bahn Berlin selbst, aber natürlich auch DB Netz, DB Station & Service, DB Energie … und vielleicht ist diese Aufzählung noch nicht mal abschließend.
Die Berliner S-Bahn (wie auch im Grundsatz die Hamburger S-Bahn) ist, anders als die nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen S-Bahnnetze eine „Eisenbahn in der Eisenbahn“. Wesentliches Unterscheidungsmerkmal sind Stromsystem und Stromzuführung. Auch die bis dato zentrale Nord-Süd-Achse, der Tunnel von Nord- bis Anhalter Bahnhof ist von seinem Querschnitt her auf die damaligen Fahrzeuge ausgelegt. Dies bedeutet: weder können Sie mit einem herkömmlichen Eisenbahnfahrzeug, z. B. dem klassischen westdeutschen S-Bahntriebwagen der Reihe 420, das Berliner S-Bahnnetz befahren, noch kann, beispielsweise im Falle von Infrastrukturstörungen, auf Gleisen der „normalen“ Eisenbahn an der Störungsstelle vorbeigefahren werden. Alle immer wieder mal auftauchenden Überlegungen, die Berliner S-Bahn auf die klassische Wechselstrom-Oberleitung umzustellen, wurden wegen der immensen Kosten im Keim erstickt. In Hamburg ist das grundsätzlich auch so, hier bedient man sich aber seit einigen Jahren Zwei-System-Fahrzeugen, die auf der Strecke nach Stade (evtl. in einigen Jahren Cuxhaven) ab HH-Neugraben unter der normalen Oberleitung verkehren können.
Diese „Eisenbahn in der Eisenbahn“ wird nun in drei Teilnetze aufgeteilt:
Das Teilnetz „Ring“ hat die bisherige Betreiberin bereits gewonnen und ist in der Beschaffungsphase neuer Fahrzeuge der Baureihe 484/484. Wir stehen nun vor der Ausschreibung der beiden weiteren Teilnetze „Stadtbahn“ und „Nord-Süd“. Hierfür werden sich also Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) bewerben können, die mit, so ist es der politische Wille, vom Land Berlin beschafften und an das jeweilige EVU verleasten Fahrzeugen den Betrieb abwickeln sollen. Nur das Netz „Ring“ wird mit den neuen, DB-eigenen Fahrzeugen der Baureihe 483/484 bedient werden. Vorgesehen ist, dass auch die Instandhaltung der neuen landeseigenen Fahrzeuge durch weitere Beteiligte erbracht werden sollen. Dafür werden neue Werkstattflächen an der Peripherie gehandelt: Schönerlinder Straße im Nordosten (heute noch gar nicht an das S-Bahnnetz angeschlossen und nur mit erheblichem Infrastrukturaufwand darstellbar) oder auch Waßmannsdorf im Südosten. Es besteht die Gefahr, dass die traditionelle Werkstätteninfrastruktur (Schöneweide, Wannsee, Friedrichsfelde) nicht mehr ausgelastet und dann in Konsequenz reduziert werden wird. In Konsequenz kämen zu den heutigen Playern am System Berliner S-Bahn ggf. noch einige weitere dazu: ein oder zwei weitere EVU und ein oder zwei weitere Fahrzeuginstandhalter für die Fahrzeuge des Landespools.
Möchte man sich nun vorstellen, was im Falle einer Störung passiert? Bleibt beispielweise ein Zug in Humboldthain liegen und blockiert die Strecke: darf der Nord-Süd-Betreiber schnell und unkompliziert auf den Ring ableiten? Oder bei einer Störung in Westkreuz Ringbahnzüge zum Betreiber „Stadtbahn“ über die Verbindungskurve nach Charlottenburg?
Bis hierher fassen wir also zusammen:
Die Berliner S-Bahn ist ein eigenes Subsystem innerhalb des Gesamtsystems „Eisenbahn“. Die im Zuge der Bahnreform geschaffene Deutsche Bahn AG besteht aus einer Reihe von Einzelgesellschaften, die auf das „System Berliner S-Bahn“ wirken und heute schon einigen Koordinierungsaufwand verursachen. Erhöht man nun die Zahl der auf das System einwirkenden Unternehmen, die einander zudem völlig fremd sind, erhöht man auch den Koordinierungsaufwand im Störungsfall erheblich. Aus unserer Sicht wird Flexibilität mindestens stark eingeschränkt. Ob sich unkomplizierte und schnelle Zusammenarbeit im Störungsfall „par ordre du mufti“ durchsetzen lässt, bezweifeln wir.
Die Befürworter der Teilnetzausschreibungen werden nun einwerfen: mehr Wettbewerb, mehr Qualität, geringere Preise. Auf viele Bereiche der Marktwirtschaft trifft das auch zu. Aber hier?
Ausschreibungen erfolgen „netto“ oder „brutto“. Ersteres bedeutet, dass der Betreiber die Fahrgeldeinnahmen behalten darf, er hat also einen Anreiz, duch Service, Pünktlichkeit etc. die Einnahmen zu steigern. „Brutto“ bedeutet das Gegenteil: der Betreiber bekommt eine feste Vergütung für die Erbringung der Leistungen (böse Zungen sprechen dann von „Lohnkutscher“); die Fahrgeldeinnahmen landen beim Aufgabenträger. Bei diesem Modell hat der Betreiber wenig bis keine Anreize, mehr als das vertragliche Mindestmaß zu erbringen und neue Fahrgäste zu gewinnen.
Ob die beiden geplanten Ausschreibungen nun „netto“ oder „brutto“ sind, wissen wir noch nicht. Sicher sind auch Mischformen denkbar. Aber stellen Sie sich bitte einmal vor, Sie möchten von West- nach Ostkreuz reisen. Zeitlich ist es eigentlich egal, ob Sie sich für die Stadt- oder die Ringbahn entscheiden. Dies wird in Zukunft sicher nicht anders sein. Was aber anders sein wird: Entscheiden Sie sich für die Stadtbahn, fahren Sie möglicherweise mit einem Unternehmen aus Großbritannien, einem, hinter dem die französische oder niederländische Staatsbahn steht, oder vielleicht auch einem chinesischem. Das ist per se nicht schlimm. Aber die einheitliche Berliner S-Bahn ist es dann ganz gewiss nicht mehr. Und die jüngere Vergangenheit zeigt, dass die Vergabe komplexer Netze im Regionalverkehr häufig zu erheblichen Schwierigkeiten führte. Ein Beispiel: Neufahrzeuge waren einfach noch nicht einsatzbereit, was teils zu bizarren Ersatzverkehren führte. Dies möchte man sich für die hiesige S-Bahn nicht unbedingt vorstellen. Und gerüchteweise haben neue Betreiber zuweilen erhebliche Schwierigkeiten, ausreichendes und qualifiziertes Personal zu finden.
Betrachten wir die drei „Kostentreiber“ beim Betrieb einer Eisenbahn: Infrastruktur, Fahrzeuge und Personal.
Da die Infrastruktur (Netz und Stationen) im DB-Konzern verbleibt, wird es hier keinerlei Unterscheidungsmerkmale geben können. Weder im Preis noch in der Qualität, die Nutzungsgebühren der Infrastrutur sind einheitlich. Möglicherweise kann sich ein Betreiber beim Bezug des Stroms einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Aber auch das erscheint unwahrscheinlich, da der Aufgabenträger sicher auch die Produktionsweise des Stromes, Stichwort Klimaschutz, vorschreiben wird.
Bei den Fahrzeugen zeigt die Erfahrung seit der Regionalisierung des Nahverkehrs, dass die Aufgabenträger dazu neigen. die Konfiguration der Fahrzeuge bis hin zur Armlehne, dem Sitzbezug und dem Ablagetischchen vorzuschreiben (was übrigens dazu führt, dass aufgrund der häufigen Forderung „Neufahrzeug“ sehr viele noch einsetzbare Fahrzeuge im „Stillstandsmanagement“ oder gleich auf dem Schrott landen – vor dem Ende der üblichen eisenbahnbetrieblichen Nutzungsdauer). Über die Fahrzeuge wird sich also kein Betreiber differenzieren können und auch die Leasingzahlungen an das Land Berlin sind für jeden Bewerber identisch.
Bleibt das Personal. Man muss nur auf das Beispiel Ryanair schauen, um zu erkennen, dass das Merkmal „günstiger Preis“ auf Kosten des Personals erkauft wird. Denn sowohl Leasingraten bzw. Abschreibungen für die Flugzeuge als auch Treibstoffkosten sind für alle Airlines im Grundsatz gleich. Für die Berliner S-Bahnausschreibung ist davon auszugehen, dass die Politik darauf achten wird, dass Personalschlüssel, Qualifikation und insbesondere Vergütung geregelt werden. Also (richtigerweise) auch hier keine Differenzierungsmöglichkeit. Aber: in Zeiten des demographischen Wandels werden sich Arbeitnehmer vielleicht sehr genau anschauen, bei welchem Arbeitgeber sie einen Arbeitsvertrag unterschreiben.
Unseres Erachtens gibt es also in den drei Kostenblöcken Infrastruktur, Fahrzeuge und Personal tendenziell keine relevanten Kalkulationsvorteile einzelner Bewerber. Würde die Ausschreibung als Brutto-Vertrag erfolgen, gäbe es auch keinerlei Anreize, über das geforderte Maß hinauszugehen.
Bleibt noch die Renditeerwartung, mit der die jeweiligen Betreiber kalkulieren. Hier sagen nun die Ausschreibungsbefürworter und Kritiker der S-Bahn Berlin GmbH, die Deutsche Bahn kalkuliere und kassiere „Monopolgewinne“. Selbst wenn das so wäre, bleibt die rhetorische Frage: Wem gehört eigentlich die Deutsche Bahn AG und an wen schüttet sie Gewinne aus? Unserer Kenntnis nach ist das der Staat, also wir alle.
Und die Qualität?
Deren Einhaltung wird, wie es bereits heute geschieht, permanent kontrolliert und bei Nichteinhalten der Vorgaben durch „Strafzahlungen“ (sog. Pönale) sanktioniert.
Dies war jetzt eine ganze Reihe von Aspekten, die wir hier natürlich nur oberflächlich darstellen konnten. Das so gewonnene Bild reicht aber schon, um sich die Frage zu stellen, worin also die Vorteile liegen, das Berliner S-Bahnnetz organisatorisch und betrieblich auseinanderzureißen? Wir sehen es momentan nicht.
Wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser, anderer Meinung sind, schreiben Sie uns bitte gerne. Wir sind gespannt!
Und übrigens: Danke, dass Sie bis hierher durchgehalten haben ;-). Schon jetzt wünschen wir Ihnen allen schöne Pfingstfeiertage und bleiben Sie bitte weiterhin vernünftig und besonnen.
Freundliche Grüße
Michael Rothe