Ein Zwischenruf zur aktuellen Verkehrspolitik
Die Berliner Zeitung vermeldete in diesen Tagen, der Bund halte es für möglich, dass es nach einem Betreiberwechsel bei der Berliner S-Bahn zu Schwierigkeiten kommen könnte. Der parlamentarische Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium (und Gast unseres Neujahrsempfangs 2019), Enak Ferlemann, wird zitiert mit den Worten: „[Es sei nicht auszuschließen, dass] in der Anfangszeit betriebliche Probleme auftreten könnten, die auf mangelnde Erfahrungen zurückzuführen sind.“ Und weiter: „In der Regel spielen sich die betrieblichen Prozesse nach einer Eingewöhnungsphase ein.“ Na, da können wir uns je nach Geschmack ja beruhigt zurücklehnen oder auf gut berlinerisch denken: „Nachtigall, ick hör‘ dir trapsen“.
Da trifft es sich gut, dass die Süddeutsche Zeitung am 19. Juni vermeldete: „Die Zahl der Autos in Deutschland steigt weiter“. Ferdinand Dudenhöfer, der „Autopapst“ vom Center Automotive Research, einer Einrichtung der Universität Duisburg-Essen, habe in einer Studie analysiert, dass in den Städten von einer Verkehrswende nichts zu sehen sei. Und weil die Deutschen ihr Auto im Großen und Ganzen weiter liebten, sieht der autoaffine Experte die Lösung nicht in Verboten, sondern darin, das Auto „kompatibler mit den Stadtanforderungen zu machen“ und es „zu versöhnen mit der Stadt“. Nun ja, wie versöhnlich Autopisten durch die Stadt sind, kann man ja an vielen Stellen besichtigen. Die den Breitenbachplatz zerschneidende Stadtautobahn ist da nur ein Beispiel unter vielen.
Da ist die Berliner CDU schon weiter und hat neu entdeckt, dass Verkehrspolitik alten Zuschnitts nicht zukunftsfähig ist. Ja sicher, die Pendler-Kampagne, nach der es nicht nur „rein und raus“ gehe, sondern man auch kein „bisschen Spaß am Verkehr“ habe, ist, nun ja, ein wenig verunglückt. Aber deswegen twittert der Landeschef, Kai Wegner, auch gleich:
„Schluss mit rot-rot-grünem Stillstand! Die @cduberlin will #Berlin wieder in Bewegung bringen. Meine Idee: Eine #Hochbahn mit Magnetschwebetechnologie. Das wird ein Leuchtturm für Berlin: nahezu geräuschlos und sehr umweltfreundlich.“
Nun, über die erste Magnetbahn, die Älteren erinnern sich, wollen wir mal nicht nachdenken. Aber das ist ein Vorschlag, auf den wir alle gewartet haben. Da könnten wir doch eigentlich auch gleich die S-Bahn mit Wechselstrom elektrifizieren und nach Eberswalde, Brandenburg/Havel und Luckenwalde fahren.
Und bis es soweit ist, wir also im Wegner’schen Leuchtturmprojekt auf Hochbahnen geräuschlos dahinschweben, leben wir weiter mit Verzögerungen im Betriebsablauf, Weichen- und/oder Signalstörungen, fahren mit alten U-Bahnen durch sehr alte sanierungsbedürftige U-Bahntunnel, planen Tramstrecken (mit deren Bau wir nicht vorankommen) oder auch gleich ein neues O-Bus-Netz. Unsere S-Bahnen fahren auf den Außenästen oftmals eingleisig, was den Betrieb anfällig macht. Eisenbahn-Infrastruktur haben wir zurückgebaut und zum Beispiel Bahnsteige so kurz neu aufgebaut, dass wir nicht „mal eben“ einen sechsten Doppelstockwagen an überfüllte Regios hängen können.
Wir treffen seit Jahren keine Entscheidung, ob wir mit der S-Bahn oder mehr Regios nach Falkensee fahren wollen. Der Mut (?) zu Improvisation und Pragmatismus ist uns abhandengekommen. Sonst führen wir schon, ohne Fahrzeugmehrbedarf, mit der RB 33 nach Zehlendorf oder sogar Steglitz. Wir kleben gelbe Streifen auf Straßen und nennen das „Pop-Up bike lane“, gehen aber nicht resolut gegen Falschparker vor. Für Radschnellwege brauchen wir Jahre. Die BVG, sie liebt uns weiter und geht in ihrem Marketing mit flotten Sprüchen über Unzulänglichkeiten locker hinweg (wer Twitter nutzt, weiß, was gemeint ist). „Pop- Up bus lanes“. also Busspuren, schaffen wir bisher nicht in kurzer Zeit, dafür werden Bus und Tram nachweislich langsamer. Und nicht nur Spießer werden sich in ihr Auto zurücksehnen, wenn sie bemerken, dass öffentlicher Raum teils verwahrlost, weil Regeln für viele nicht existent sind.
Ja, Berlin hat bundesweit vermutlich das beste ÖPNV-Netz. Das bestreitet sicher niemand ernsthaft. Aber die Bequemlichkeit und Verfügbarkeit des Autos, ob man das gut findet oder nicht, ist nun mal für viele Menschen attraktiv. Sie kennen möglicherweise im Ihrem Umfeld auch Menschen, die sagen: „Öffis? Nee, Danke!“. Es ist also trotz des im Allgemeinen guten Angebots noch ein weiter Weg, bis die Verkehrswende spürbar gelingt. Kommen muss sie aber.