Zwischenruf: "Sind minimale Kosten alles?" oder vom Wert des zukünftig Historischen

Eine auf den ersten Blick merkwürdige Frage:

Werden heutige Fahrzeuge auch einmal alt und damit historisch?

Dies kann man wohl uneingeschränkt mit „Ja“ beantworten. Wer aber kümmert sich um den dauerhaften Erhalt heutiger Fahrzeuge bzw. Baureihen, die vor der Ausmusterung stehen und die von zukünftigen Generationen als historisch bewundert werden könnten?

Nur ein Beispiel:

Bei der BVG steht die Kleinprofil-Baureihe A3 (L71) kurz vor dem Aus (die grundlegend modernisierten A3E rechnen wir hier nicht mit). Kümmert sich irgendjemand um den Erhalt eines solchen Fahrzeugs, vielleicht gar betriebsfähig? Immerhin fuhr die Baureihe A3 seit 1960 durch den Westteil der Stadt (bis 13.08.1961 auch in den Ostteil) und seit 1993 auch wieder nach Pankow. Sechzig Jahre sind eine lange Zeit und dieses Fahrzeug damit ein bedeutender Vertreter der Berliner U-Bahn. Wird die BVG ein oder zwei Doppeltriebwagen museal erhalten, um damit vielleicht auch einmal Sonderfahrten machen zu können? Vielleicht auch dann, wenn die aus heutiger Sicht „richtig“ alten Fahrzeuge der Serien A1/A2 technisch wirklich nicht mehr eingesetzt werden können?

Aber auch bei musealen Fahrzeugen sieht es zuweilen nicht besser aus:

Da wird auf dem Tegel-Gelände eine historische Boeing 707 kurzerhand zerhackt, weil sich niemand findet, der ein Budget für solch ein Ausstellungsstück bereitstellen kann oder will. Über den sog. „Rosinenbomber“, der mittlerweile Berlin still, heimlich und zerlegt verlassen hat, reden wir mal gar nicht. Die Flughafengesellschaft sah sich aus finanziellen Gründen (!) nicht in der Lage, dieses Flugzeug geschützt irgendwo aufzustellen und so an ein Stück Geschichte zu erinnern. Bei den BER-Gesamtkosten wäre das nicht mehr als eine Fußnote gewesen.

Die „Arbeitsgemeinschaft Traditionsbus Berlin e. V.“ mit ihren zahlreichen Fahrzeugen der BVG (West), viele davon betriebsfähig und täglich auf der Linie 218 im Einsatz, verliert Ende 2022 ihre Mietflächen in Haselhorst, weil darauf Wohnungsbau vorgesehen ist. Wer wollte etwas dagegen haben? Aber der Senat sieht sich nicht zuständig und demonstriert in einer parlamentarischen Anfrage komplettes Desinteresse. Die BVG selbst hat schon Schwierigkeiten, ihre vielen neuen langen Gelenkbusse unterzubringen (als Ersatz der, leider, abgängigen Doppeldecker) und will sich nun nicht auch noch mit Fahrzeugen ihrer eigenen Geschichte beschäftigen. Die, das nur nebenbei, waren früher Teil der BVG-Sammlung (Busse, Straßenbahnen, U-Bahnen), die im Betriebshof Gradestraße untergebracht war.

Und die S-Bahn?

Immerhin stehen die historischen Fahrzeuge in Erkner warm und trocken, wenn man auch von Betriebsfähigkeit heute nur träumen kann. Aktuell geht es der Baureihe (BR) 485 „an den Kragen“, weil, so hört man, in Schöneweide Platz geschaffen werden muss für die Neubaufahrzeuge der BR 483/484, die bis zum Inkrafttreten des neuen Verkehrsvertrags Ende 2022 nicht eingesetzt werden dürfen und nigelnagelneu abgestellt werden müssen. Was für ein Irrsinn! Aber das nur nebenbei. Kann man nur hoffen, dass auch ein Halbzug der BR 485 und dereinst auch ein Doppeltriebwagen der BR 480 museal oder gar betriebsfähig erhalten werden.

Natürlich, allein unter Renditegesichtspunkten lässt sich keines der hier genannten Beispiele rechtfertigen! Das war noch nie so und wird auch zukünftig so ein. Aber die Nachwelt wird uns den Erhalt technischer Denkmäler danken – spätestens dann, wenn nach Corona auf Sonderfahrten die „gute, alte Zeit“ wiederbelebt wird. Auch das wird zukünftig so sein.

Also: Zwingen uns Rendite- und Kostensenkungsansprüche, auf wirtschaftlich Unvernünftiges, gleichwohl technikgeschichtlich Wertvolles zu verzichten? Nur einmal so als Zwischenfrage …


Ein Zwischenruf zu den Erfordernissen der Verkehrswende im Kleinen

Versetzen Sie sich bitte in einen Gelegenheitsfahrgast, der oder die mal kurzfristig „den Zug ausprobieren“ möchte und am frühen Sonntagabend von Fulda in den Südwesten Berlins oder nach Potsdam möchte. Dazu gibt es zwischen 18:00 und 19:00 Uhr vier Verbindungen, drei davon über Erfurt, eine über Braunschweig. Die Fahrzeiten betragen zwischen 3 ¾ h und 4 ½ h. Der Flexpreis liegt, je nach gewählter Verbindung, bei ca. 115 € (1. Klasse ca. 190 €). Stolzer Preis, denken Sie sich, aber ist ja ICE. Sie entscheiden sich für Braunschweig.

Der ICE 276 kommt aus Basel und soll Fulda um 18:12 Uhr auf Gleis 6 verlassen, er kommt lt. Anzeige ca. 20 min verspätet (am Ende wird es eine halbe Stunde). Bahnsteigdurchsagen gibt es keine, Personal auch nicht. Sie denken sich: „Gut, dass ich nicht alt oder krank bin“, denn ihr reservierter Platz (in der 2. Klasse 4 € extra) ist im ersten Wagen an der Spitze eines langen ICE. Und dort gibt es keine Anzeige auf dem Bahnsteig. Mehrere ICE fahren an Gleis 6 ein und Sie müssen darauf achten, dass es nicht Ihrer ist. Aber alles klappt, Sie erwischen den richtigen Zug, nächster Halt der „Palast der Winde“, Kassel-Wilhelmshöhe.

Nach Kassel wird es gemütlich, der schnelle ICE fährt auf kurviger Strecke durchs Wesertal. Sehr schöne Strecke, denken Sie sich, aber sie sitzen doch in einem ICE? Das Personal könnte mittels Durchsage Marketing in eigener Sache machen und Verständnis wecken, indem es darauf hinweist, dass auf der Schnellfahrstrecke für Sie, unsere Fahrgäste, gebaut würde und man deshalb auf der Altstrecke fahre. Tut es aber nicht. Und so kommen aus der Reihe vor Ihnen lästerliche Bemerkungen zum „Schnell“zug und Sie als Bahn-Laie denken sich: Stimmt.

In einem Ort namens Eichenberg kommt der Zug zum Halten. Dort stehen schon mehrere Züge. Nach einer Weile gibt es tatsächlich eine Durchsage: Bahnübergangsstörung, Weiterfahrt ungewiss, man stehe im Stau. Hoffnung kommt auf, der ICE auf dem Nachbargleis setzt sich in Bewegung und bald darf auch unser 276 zu nun noch gemächlicherer Fahrt starten. Göttingen wird nach weiteren Zwischenstopps auf freier Strecke mit fast einer Stunde Verspätung erreicht. Der Zugchef macht in Göttingen, Hildesheim, Braunschweig, Wolfsburg seine stoischen Ansagen: „Unser Zug hat aktuell eine Verspätung von 55 Minuten. Wir danken für die Reise mit der Deutschen Bahn/begrüßen Sie im ICE der Deutschen Bahn“. Ein Wort der Entschuldigung oder des Bedauerns? Fehlanzeige. Als sei das Normale, denken sie sich leise.

Spandau. Die Verspätung stabil, Plan 21:46 Uhr, Ist 22:42 Uhr. Die S-Bahn-Verbindung in den Südwesten über Westkreuz ist gerade vor 4 Minuten abgefahren, sie bleiben bis Hauptbahnhof sitzen. Ein Fehler – aber das ahnen sie noch nicht.

Am Nachbargleis verlässt gerade ein anderer ICE Spandau Richtung Innenstadt (für Experten: es ist der ebenfalls eine mehr als halbe Stunde verspätete 945/955 aus Nordrhein-Westfalen). Unser 276 setzt sich nur kurz danach in Bewegung; es geht in Richtung Stadtbahn. Plötzlich im Nirgendwo: Halt. Minutenlanges Schweigen, sehr langes Schweigen.

Dann doch eine Durchsage: Der vor uns fahrende ICE, eben jener 945/955, sei in Charlottenburg in einen Bauzaun gefahren. Weiterfahrt ungewiss. Es folgt erneut: langes Schweigen, keine Informationen. Dann: die Bundespolizei ermittle, das dauere und zurück nach Spandau könne man auch nicht, weil hinter uns ein Zug sei, der nicht „rückwärts“ fahren könne (vermutlich der klassische IC 149 aus Amsterdam, der keinen Steuerwagen hat, übrigens auch eine Stunde zu spät in Spandau).

Die Zeit vergeht, „Mitternacht zog näher schon …“, fällt Ihnen ein. Wer den Weg in das BordBistro sucht, findet kostenloses Wasser. Später wird der Verkauf wieder öffnen, alles was noch da ist, wird kostenlos verteilt. Die Nachfrage ist faktisch null, erstens wird es, Sie ahnen es, nicht durchgesagt, aber, wichtiger, alle wollen nur eines: nach Hause. Da hilft auch kein Snickers.

So sachte machen Sie sich Sorgen, wie Sie eigentlich nach Hause kommen. Und natürlich der unvermeidliche Gedanke: „Wäre ich mal in Spandau …“ - aber es hilft nichts. Das Personal ist ebenfalls frustriert, am Ende ein gebrauchter Tag. Eine Mitarbeiterin des BordBistros sagt, sie müsse nach Berlin Ostbahnhof, der Endstation, noch 100 km nach Hause fahren; die letzte Verbindung in akuter Gefahr. Am Ende wird sie es wohl nicht geschafft haben. Ob der Arbeitgeber ein Taxi bezahlt?

Es ist inzwischen Montag und der 276 setzt sich in Bewegung. Ein paar Meter – und er steht erneut. Dann irgendwann geht es in besserer Schrittgeschwindigkeit durch Charlottenburg. Schnelles Aussteigen in Charlottenburg? Geht nicht. In Zoo? Schon gar nicht. Zwischen Bellevue und Hauptbahnhof kommt ihnen dann um 00:47 Uhr die letzte S7 des Tages nach Potsdam entgegen. Das wäre ihr Zug gewesen, denn der letzte RE1 soll den Hauptbahnhof um 00:41 Uhr verlassen haben. Das Zugpersonal verweist auf den 24 Stunden geöffneten ServicePoint im Hauptbahnhof, Ausgang Europa-Platz, der helfe weiter.

Um 00:49 Uhr erreicht der 276 den Hauptbahnhof, planmäßig 22:00 Uhr. Sie laufen die Treppe hinunter zum Bahnsteig Richtung Westen, blicken nach oben und sehen rote Dostos ausfahren. Erste Reaktion: Mist, der RE1 nun auch noch weg. Aber: es steht groß „FEX“ auf den Wagen, also die Treppe hoch und siehe da: der allerletzte RE1 auch verspätet. Er fährt ein. Sie haben Glück. Aber nur, weil Sie jetzt doch zum mitdenkenden Fahrgast mutiert sind und wissen, das „FEX“ nicht RE1 ist. Der Gelegenheitsfahrgast wäre nachts um eins im Hauptbahnhof gestrandet.

Epilog:

Ja, der Text war lang und deswegen: Danke, dass Sie durchgehalten haben.

Ja, hier hatte das EVU „nicht nur kein Glück, nein, es kam auch noch Pech dazu“.

Ja, es gibt viele, sehr viele, engagierte Eisenbahner/innen, die darunter leiden, wenn es nicht „löppt“. Nein, der Beitrag ist ausdrücklich kein „Bahn-Bashing“, sondern das Gegenteil, Liebe zur Eisenbahn.

So, mögen Sie sich fragen, drückt sich Liebe aus?

Ja, weil der hier angenommene Durchschnittsmensch, vielleicht eigentlich Autofahrender, die Reise so wahrgenommen haben könnte. Und würde er oder sie zu diesem Preis beim nächsten Mal wieder den Zug nehmen? Gemessen an der Bequemlichkeit eines Autos, trotz möglicher Staus, wohl kaum.

Das im Prinzip belanglose Beispiel soll illustrieren, dass das Schlagwort #Verkehrswende nicht nur Neubaustrecken, Reaktivierungen, moderne Züge etc. bedeutet. Nein, Verkehrswende ist auch, neudeutsch, „user experience“. Der öffentliche Verkehr hat mit dem Konkurrenten „Auto“ eine hohe Messlatte. Und da geht es leider nicht nur um Fahrzeit, sondern auch um vermeintliche Nebensächlichkeiten wie Bequemlichkeit, Kommunikation, Hilfestellung. Auch das sollten wir unter #Verkehrswende verstehen. Und dies umso mehr, als in einigen Jahren der dann elektrifizierte MIV als umweltfreundlich verkauft werden wird.

 


Ein Zwischenruf zur Dresdner Bahn

Nich' dran fummeln, wenn't löppt“, wird sich mancher Eisenbahner, manche Eisenbahnerin denken, der oder die Verantwortung für das Projekt „Dresdner Bahn“ trägt. Und so gibt es bauherrenseitig nur schmallippig Antworten zu Fragen nach den verpassten Chancen dieses Projekts.

Vermutlich ist es auch richtig, prozessuale Baustellen nicht wieder aufzumachen, „wenn't endlich löppt“. Es geht ja beileibe nicht nur um die BER-Anbindung (von der man nicht weiß, wie wichtig sie nach der Pandemie tatsächlich sein wird), sondern auch um schnelle Verbindungen nach Dresden und Prag. Die EC-Linie ist in normalen Zeiten eine stark nachgefragte Verbindung (nicht nur wegen des legendären tschechischen Speisewagens mit guter Küche und ebensolchem Bier …). Sicher nicht umsonst haben die Ceské Dráhy, die tschechischen Staatsbahnen, vor wenige Tagen moderne Railjet-Garnituren bestellt, um das betagte Wagenmaterial ab Mitte der Zwanziger ablösen zu können.

Aber zurück zur Dresdner Bahn im Berliner Raum, wo wir uns den Luxus erlauben und eine Espresso-Tasse mit Milch verkippen …

Wie also konnte es passieren, dass man die S2 im Zuge des Projekts nicht zweigleisig ausführt? Die Notwendigkeit auskömmlicher Infrastruktur ist sicher nicht neu und müsste auch bei Erstellung des Projektdesigns bekannt gewesen sein. Hinzu kommt nun noch die zwischenzeitlich getroffene Entscheidung der Brandenburger Landesregierung, die S2 (wieder) nach Rangsdorf zu verlängern. Obwohl nun eine Strecke, von Grund auf neu gebaut, reaktiviert wird, bleibt es bei eingleisiger S-Bahn- Infrastruktur. Unverständlich.

Aus unserer Sicht auch unverständlich ist, dass das Land Berlin auf einen „Umsteige-Hub“ im Süden verzichtet. Wir reden über einen Regionalbahnhof Buckower Chaussee, an dem heute die tangentialen Buslinien X11/M11 kreuzen (und dereinst hoffentlich die Straßenbahn). Hier ist unserer Meinung nach durch das Land Berlin eine Chance vertan worden, den BER (noch) besser ohne Auto zu erschließen.

Da wir nur eine kleine Tasse Milch verschütten wollten, reden wir an dieser Stelle nicht über den (zukünftig sicher sinnvollen) Haltepunkt Kamenzer Damm oder gar eine von der S2 abzweigende S- Bahn nach BER, die mehr als aufwendig in der Realisierung wäre (und bei einem Regionalbahnhof Buckower Chaussee auch komplett unnötig).

So ist es nun wie es ist: vergossene Milch eines Projekts, dass mit dreißig (!) Jahren Planungs- und Bauzeit bei einem Infrastrukturvorhaben rekordverdächtig ist. Obschon uns „Stuttgart 21“ und die „Rheintalschienet“ heftig Konkurrenz machen …


Ein Zwischenruf zu Berliner U-Bahn-Diskussionen

Was ist denn nur in die Berliner Verkehrspolitik gefahren? Lebten wir im Rheinland, könnten wir es ja noch verstehen – Aschermittwoch ist erst morgen.

So wird im nun gerade anlaufenden Wahlkampf um U-Bahn-Verlängerungen gestritten, nein, nicht, als gäbe es kein morgen, aber als ob es keine knappen Mittel gäbe, keine Notwendigkeit einer flächendeckenden Verkehrswende mindestens in den Städten.

Man tritt den Regierenden wohl nicht zu nahe, wenn man nach fast viereinhalb Jahren Legislatur feststellt, dass es für den öffentlichen Verkehr wiederum vier verlorene Jahre waren (für den motorisierten Individualverkehr eher vier gewonnene ...). Die U5 war fast schon fertig, die Flughafenanbindung war es bereits. Ansonsten ein paar Leuchtturmprojekte: Pop-Up-Radwege (deren Zustand z. B. in der Kantstraße schon jetzt erbärmlich ist), eine Straßenbahnstrecke an der Peripherie im Bau, eine mitten in der Stadt planfestgestellt (aber noch ohne Baubeginn), die Projekte „Ostkreuz“, „Mahlsdorf“ oder gar „Leipziger Straße“ dümpeln vor sich hin. Und gerade die Straßenbahnverfechter verloren sich zuweilen in unseligen Diskussionen über die Gertraudenbrücke oder die Querung des Görlitzer Parks. Das mag im Detail wichtig sein, aber im Hier und Heute hätte es darum gehen müssen, für Akzeptanz zu werben, auch bei verkehrspolitisch Uninteressierten und/oder eingefleischten Autofahrenden. Kurz: Lust zu machen auf neue urbane Formen der Mobilität.

Was wurde vorangebracht bei den Vorrangschaltungen für Bus und Straßenbahn? Was bei Busspuren? Was bei Tarifmodellen für Gelegenheitsfahrer an der Schwelle zum Stammkunden? Und nicht zuletzt: Was bei den i2030-Projekten? Entscheidungen zur Stammbahn, zum Korridor Spandau-Nauen, zum zweigleisigen Ausbau der S-Bahn-Außenäste? Bei allen Projekten: Fehlanzeige. Und selbst bei dem Projekt „Siemensbahn“ ist zu befürchten, dass, weil alles mit allem vermengt wird, es zu Verzögerungen kommen wird. Weil man nämlich jahrelang darüber streiten kann, wie eines fernen Tages die Strecke verlängert werden wird. Und wenn man diskutiert, muss man keine Entscheidungen treffen. Womit wir wieder bei den übrigen i2030-Projekten wären ...

Sind also Machbarkeitsstudien zu einzelnen U-Bahn-Verlängerungen (übrigens alle an der Peripherie, wo es möglicherweise sinnvollere Verkehrsmittel gibt) „Verkehrspolitik aus einem Guss“? Wohl kaum.

Normalerweise würde man erwarten, dass an erster Stelle die Formulierung eines Ziels steht, z. B. in der Beantwortung der Frage, wie Verkehr in Berlin in zehn, fünfzehn Jahren organisiert werden soll? Hat man dazu eine breite gesellschaftliche Akzeptanz (und dazu gehören z. B. auch heute noch Autofahrende), leiten sich daraus konkrete Maßnahmen und auch Verkehrsmittel ab. So „schreit“ unseres Erachtens die mittlere Großstadt Spandau gerade nach einem flächendeckenden Schienenverkehrsmittel: der Straßenbahn. Und man wird die Diskussion um die (Neu-)Verteilung der knappen zur Verfügung stehenden Verkehrsfläche führen müssen, z. B. wenn man eine Straßenbahn durch Potsdamer und Hauptstraße parallel zur S1 und als Ersatz für die Buslinien M48 und M85 nach Steglitz schicken will.

Selbstverständlich gehören dazu auch U-Bahn-Projekte. Es wäre ja albern, wenn man die U3 nicht für überschaubares Geld zum S-Bahnhof Mexikoplatz verlängerte. Das aber ist eine Marginalie. Was eigentlich ist mit der U9 nach Lankwitz im Süden und nach Pankow im Norden? Und, sehr weit in die Zukunft gedacht, was mit einer neuen Linie nach Weißensee, weil hier offenbar die Straßenbahn an Grenzen kommt? Wo aber „Butter“ ist, ist meistens auch „Brot“: die Berliner U-Bahn ist in ihren ältesten Teilen fast 120 Jahre alt und viele Tunnel bedürfen einer grundlegenden Sanierung. Dummerweise kostet das eine Menge Geld.

Und die U7 zum BER? Nun, bevor man dies zu „einer nationalen Angelegenheit“ erklärt (ob das Menschen in Niebüll, Breisach oder Freilassing auch so sehen?), sollte man vielleicht mal mit den Nachbarn in Brandenburg sprechen, wie das dort gesehen wird. Da aus heutiger Sicht nicht zu erwarten ist, dass Schönefeld nach Berlin eingemeindet wird, würden wesentliche Teile dieser Verlängerung über Brandenburger Gebiet laufen, also auch dort finanziert werden müssen.

Und eines lässt sich heute vermutlich noch gar nicht abschätzen: Der Zustand der öffentlichen Haushalte „nach“ Corona. Zu befürchten ist: nichts Gutes.

Mit unserem kleinen Zwischenruf können wir nicht alles abdecken, was zum Thema zu sagen wäre. Natürlich nicht. Aber die Verengung der verkehrspolitischen Diskussion auf ein paar U-Bahn-Verlängerungen ist aus unserer Sicht nicht zielführend und dem Thema auch nicht angemessen. Denn wenn es stimmt, und wir zweifeln nicht daran, dass wir vor einer weiteren globalen Herausforderung in Form einer Veränderung des Klimas stehen (oder uns bereits darin befinden), müssen wir unseren Energieverbrauch mindestens verändern und auch reduzieren. Dies bedeutet wohl auch, dass wir die Organisation von Verkehr zunächst dort, wo es noch am leichtesten ist, in den Städten, verändern (müssen). Dies nicht als freudlose, verzichtsorientierte, sondern faszinierende Perspektive zu formulieren (und dann auch zu akzeptieren), ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Es ist eine (verkehrs)politische Aufgabe!


„Berlin, nun freue dich!“ - Ein Zwischenruf zur U5

Euphorie bei der BVG, in der Politik, auch bei der Bahn, die ihren Hauptbahnhof besser erreichbar sieht und die neue Strecke als redundante Infrastruktur, falls es auf dem zentralen Abschnitt der Stadtbahn mal Probleme oder Baustellen gibt. Kritiker könnten sagen: „Parallelverkehr“. Aber der Freitag war ein Tag der guten Laune, da wurde Berlins „Wiedervereinigung vollendet“ und Berlin zeige, dass man in Deutschland auch Großprojekte im Zeit- und Kostenrahmen realisieren könne. Es war also ein Tag der großen Worte Offizieller und vielleicht ist es auch so, dass man sich in dieser zurückgenommenen Zeit mal nach positiven Nachrichten sehnt.

Auch getwittert wurde, was das Zeug hielt. Da schrieb zum Beispiel der verkehrspolitische Sprecher einer Regierungspartei, die neue U5 sei Ausweis guter Verkehrspolitik und zeuge von der Verkehrswende. Hoffen wir mal, dass solch eine Aussage allein dem beginnenden Wahlkampf geschuldet ist.

Man ist sicher kein „Miesepeter“, wenn man auf Jahrzehnte Planungs- und Bauzeit, auch politisch bedingt, und jetzt reichlich 500 Mio. Euro (die bisherige U55 kommt noch „on top“) für gut 2 km neue U-Bahn hinweist. Das ist keine geringe Summe, die U-Bahn-Kritiker sofort zu der Frage führen wird: „Was hätte man dafür nicht alles bauen können?“ Das mag sein, aber nachdem die Entscheidung einmal gefallen war, ist es sicher richtig, die Strecke auch zu einem guten Ende gebracht zu haben, anstatt eine Bauruine im Untergrund zu belassen. Ob es die drängendste U-Bahn-Verlängerung war, mag man bezweifeln. Und der Nutzen-Kosten-Faktor dieser Investitionsmaßnahme wird durch den politischen Verzicht auf die Verlängerung nach Moabit nicht besser.

Nun ist sie aber da und wird mit Sicherheit auch ihre Fahrgäste finden, der neue Umsteigebahnhof „Unter den Linden“ (der zweite Bahnhof mit diesem Namen) zwischen U5 und U6 sicher ein Erfolg. Sie wird hoffentlich auch dem etwas darbenden Boulevard Unter den Linden sowie auch der Friedrichstraße zu mehr Leben verhelfen. Und, trotz aller Kosten, ist es sicher auch gut, dass die neuen Stationen ihrer Lage in der Stadt entsprechend repräsentativ und nicht nur zweckmäßig (das neue Terminal 2 in „hochwertiger Industriebauweise“ am BER lässt grüßen) gestaltet sind. Hoffen wir, dass sie der rauen Berliner Wirklichkeit dauerhaft standhalten und auch in drei, vier, fünf Jahren der Stadt noch zur Zierde gereichen.

Und wenn die Euphorie verflogen ist, alle feststellen werden, dass die zukünftigen Haushalte Träume nicht (mehr) werden finanzieren können, dann wird es Zeit, sich mit guter Verkehrspolitik zu beschäftigen. Zum Beispiel, die einzelnen Verkehrsträger da einzusetzen, wo sie ihre Stärken haben. Das kann mal die U-Bahn sein (auch wenn die bauliche Sanierung des Netzes in den kommenden Dekaden im Vordergrund stehen wird, ebenso der technische Nachholbedarf), aber oft auch die Straßenbahn, die, auf eigener Trasse, schnell ist und in Bau und Betrieb eben deutlich kostengünstiger. Warum, nur ein Beispiel, gibt es kein vordringliches Pilotprojekt für ein richtiges „Netz Spandau“? Eine mittlere Großstadt mit Pendlerproblemen, einem überlasteten Busnetz und Ausrichtung auf den zentralen Umsteigeknoten „Bahnhof/Rathaus Spandau“. Dort wäre natürlich die zentrale Schnittstelle, aber für den Norden Spandaus vielleicht auch am Ende der Siemensbahn – in Gartenfeld. Und wer in Generationen denkt, sieht dann vielleicht auch ein Spandauer und Potsdamer Netz verbunden.

Im Hier und Heute freuen wir uns aber erstmal und wünschen der U5 und ihren Fahrgästen jederzeit gute und unfallfreie Fahrt!

Freundliche Grüße
Michael Rothe


Ein Zwischenruf zum geschlossenen Flughafen und der UTR

Nun isser also zu – der olle Flughafen Tegel ...

Eines vorweg: wir können jeden Pankower, Reinickendorfer oder Spandauer verstehen, für den der 08.11.2020 ein Tag zum Feiern war. Neben der Lärmproblematik ist es in Covid-Zeiten für Befürworter eines (zweiten) Berliner Flughafens natürlich schwer, Argumente zu finden, die einer ernsthaften Diskussion standhalten.

Und dennoch, das gestehen Sie bitte einem „alten West-Berliner“ und Luftfahrtfan zu, ist es ein schales Gefühl, nach 2008 nun die zweite Flughafenschließung mitzuerleben. Für Menschen, die sich „verkehrsträgerübergreifend“ interessieren und engagieren, ist es womöglich auch schwierig, wenn Verkehrsinfrastruktur geschlossen wird.

Beamen wir uns zurück nach 2019, als Berlin nach Jahren einer stürmischen Entwicklung rd. 36 Mio. Passagiere hatte und die Verantwortlichen diese Zahl zukünftig nur würden darstellen können, indem man zum einen ein (heute fertiges, aber geschlossenes) Terminal 2 in „hochwertiger Industriebauweise“ errichtet, zum anderen den alten Flughafen Schönefeld als Terminal 5 zunächst weiter betreibt. Denn das Terminal 1 mit einer angegebenen Kapazität von 27 Mio. Passagieren macht eigentlich weiter nichts, als die Zahl von Tegel, zuletzt 24 Millionen, zu übernehmen. Dies aber sicher effizienter und mit mehr Komfort für alle Beteiligten.

Das oft gehörte Argument, „jede Hauptstadt habe mindestens zwei Flughäfen“ mag stimmen, aber geschichtsbedingt, und der heutige 9. November ist ein gutes Symbol dafür, spielt Berlin eben nicht in der Liga von London und Paris. Und in Anlehnung an eine legendäre Werbung, könnte man sagen: „Während Berlin und Brandenburg noch über den Standort stritten, baute München sein Drehkreuz.“ Ein Drittes wird es in Deutschland auf absehbare Zeit nicht geben. Vielleicht ist das auch nicht schlimm, denn das Drehkreuzkonzept verliert seit Jahren zugunsten von mehr Direktverbindungen mit kleineren, effizienteren Flugzeugen an Bedeutung. Ebenso wird die Bahn auch auf mittleren Entfernungen konkurrenzfähiger. Flugverkehr nach Hannover oder Hamburg? Geschichte. Und dass man selbst bei München unter rein zeitlichen Aspekten inzwischen die Frage stellen kann „Zug oder Flug?“, war vor wenigen Jahren schlicht unvorstellbar.

Wenn nun ein anderer Senat das Volksbegehren zur Offenhaltung ernst genommen und es jenseits aller juristischen Hürden irgendwie durchgesetzt hätte Tegel offenzuhalten, wären auf die Gesellschafter der Flughafengesellschaft mindestens zwei gravierende Dinge zugekommen: eine, das darf man den Verantwortlichen sicher glauben, kostenintensive Sanierung einer nun bald 50 Jahre alten Immobilie, die zudem in den letzten Jahren nur mit dem Mindesten am Laufen gehalten wurde, zum anderen hätte es eines Luftverkehrskonzepts bedurft. Oder einfacher: ein politischer Markteingriff mit der Antwort auf die Frage „Wer darf oder muss nach Tegel, wer darf oder muss nach Schönefeld?“.

Dies ist nun alles „vergossene Milch“ und vielleicht ist die Schließung am Vorabend des für die jüngere deutsche Geschichte in mehrerer Hinsicht wichtigen 9. November ein Hinweis darauf, dass ein bedeutendes West-Berliner Relikt am Ende angekommen ist und Berlin dafür am Rande der Stadt einen teuren und, nun ja, mittelgroßen Zentralflughafen bekommen hat, der im wesentlichen innerdeutschen und Europa Verkehr abwickelt.

Wie geht es nun weiter? Der ehemalige Flughafenbus der Linie 109 schildert seit heute „Tegel, Urban Tech Republic“. Man kann niemandem empfehlen, dieses Ziel ernst zu nehmen und muss fast befürchten, dass das der lockeren BVG-Marketingkampagne entsprungen ist. Wer bis zum bitteren Ende mitfährt, findet sich zwischen Laubenpieperkolonie, einer Parkpalette und dem Frachthof des nunmehr ehemaligen Flughafens wieder.

So kann man nur hoffen, dass die Urban Tech Republic (UTR) mehr ist als ein wolkiges Versprechen auf eine bessere Zukunft. Der Zustand des Flughafens Tempelhof, der seit nunmehr zwölf Jahren für viele eine schöne Spielwiese mit Hochbeeten darstellt und dessen Immobilie nach wie vor eines Sanierungs- und Nutzungskonzepts harrt, ist da sicher alles andere als ein Leuchtturmprojekt. Warum ist, nur ein Beispiel, nach zwölf Jahren nicht längst das Alliiertenmuseum eingezogen? Warum nicht das Verkehrsmuseum, das viele seiner Exponate mangels Platzes in irgendwelchen verschwiegenen Depots lagert?

Zurück zur UTR: Beuth-Hochschule, Wohnen, Arbeiten – all dies soll auf dem Areal verwirklich werden. Kann man nur hoffen, dass die verkehrliche Anbindung fortschrittlicher erfolgt als 1974 beim Flughafen Tegel. Denn die Straßenbahn soll in überschaubarer Zeit von Moabit her am Bahnhof Jungfernheide ankommen, inzwischen ein Schnittpunt von U-, S- und Regionalbahn. Von dort ist es zur UTR nicht mehr weit. Übrigens auch nicht von der UTR zum Bahnhof Gartenfeld, dem zukünftigen Endpunkt der Siemensbahn. Tja, und dann ist es über die „Gartenfelder Insel“ nur ein kleiner Sprung nach Spandau, einer mittleren, monozentrischen Großstadt, Pendlerproblemen und einem überlasteten Busnetz. Dies schreit förmlich nach einem modernen, (auf eigener Trasse) schnellen und kostengünstigen Schienenverkehrsmittel mittlerer Kapazität. Aber das ist ein anderes Thema ...


Ein Zwischenruf zur aktuellen Fahrgastinformation

Aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen erfuhr der VIV, dass die BVG seit einigen Tagen auf ausgewählten Buslinien im Rahmen der Digitalisierungsoffensive „Deutschland22“ neue Medien testet. Von einem Informanten erhielten wir dieses Bild, das die völlig neuartige Form der Fahrgastinformation zeigt:

Hier wird das Display an der hinteren Tür geführt, in manchen Fällen auch in der Frontscheibe. Hinzuweisen ist auf die Multifunktionalität, indem hier gleich zwei Linien abgedeckt werden.

Nein, das sind natürlich „fake news“. Aber es ist schon zu fragen, warum das Fahrpersonal nicht informiert, wohin der Bus fährt und dass der Entwerter nicht funktioniert. Auch wird es offenbar für übertriebenen Service gehalten, die Stationen anzusagen, denn diese Displays funktionieren auch nicht. Selig die Zeiten, in denen der Schaffner im D2U oder später der Fahrer im DE oder SD eigenhändig und live Stationen ansagte. Oder kennen die heute Fahrenden die Haltestellen gar nicht mehr? Liebe BVG, wieso kommuniziert ihr nicht, dass ihr gerade ein Software-Problem habt und an der Lösung arbeitet? Ihr seid doch sonst um lockere Sprüche nicht verlegen!


Ein Zwischenruf zur aktuellen Verkehrspolitik

Die Berliner Zeitung vermeldete in diesen Tagen, der Bund halte es für möglich, dass es nach einem Betreiberwechsel bei der Berliner S-Bahn zu Schwierigkeiten kommen könnte. Der parlamentarische Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium (und Gast unseres Neujahrsempfangs 2019), Enak Ferlemann, wird zitiert mit den Worten: „[Es sei nicht auszuschließen, dass] in der Anfangszeit betriebliche Probleme auftreten könnten, die auf mangelnde Erfahrungen zurückzuführen sind.“ Und weiter: „In der Regel spielen sich die betrieblichen Prozesse nach einer Eingewöhnungsphase ein.“ Na, da können wir uns je nach Geschmack ja beruhigt zurücklehnen oder auf gut berlinerisch denken: „Nachtigall, ick hör' dir trapsen“.

Da trifft es sich gut, dass die Süddeutsche Zeitung am 19. Juni vermeldete: „Die Zahl der Autos in Deutschland steigt weiter“. Ferdinand Dudenhöfer, der „Autopapst“ vom Center Automotive Research, einer Einrichtung der Universität Duisburg-Essen, habe in einer Studie analysiert, dass in den Städten von einer Verkehrswende nichts zu sehen sei. Und weil die Deutschen ihr Auto im Großen und Ganzen weiter liebten, sieht der autoaffine Experte die Lösung nicht in Verboten, sondern darin, das Auto „kompatibler mit den Stadtanforderungen zu machen“ und es „zu versöhnen mit der Stadt“. Nun ja, wie versöhnlich Autopisten durch die Stadt sind, kann man ja an vielen Stellen besichtigen. Die den Breitenbachplatz zerschneidende Stadtautobahn ist da nur ein Beispiel unter vielen.

Da ist die Berliner CDU schon weiter und hat neu entdeckt, dass Verkehrspolitik alten Zuschnitts nicht zukunftsfähig ist. Ja sicher, die Pendler-Kampagne, nach der es nicht nur „rein und raus“ gehe, sondern man auch kein „bisschen Spaß am Verkehr“ habe, ist, nun ja, ein wenig verunglückt. Aber deswegen twittert der Landeschef, Kai Wegner, auch gleich:

„Schluss mit rot-rot-grünem Stillstand! Die @cduberlin will #Berlin wieder in Bewegung bringen. Meine Idee: Eine #Hochbahn mit Magnetschwebetechnologie. Das wird ein Leuchtturm für Berlin: nahezu geräuschlos und sehr umweltfreundlich.“

Nun, über die erste Magnetbahn, die Älteren erinnern sich, wollen wir mal nicht nachdenken. Aber das ist ein Vorschlag, auf den wir alle gewartet haben. Da könnten wir doch eigentlich auch gleich die S-Bahn mit Wechselstrom elektrifizieren und nach Eberswalde, Brandenburg/Havel und Luckenwalde fahren.

Und bis es soweit ist, wir also im Wegner'schen Leuchtturmprojekt auf Hochbahnen geräuschlos dahinschweben, leben wir weiter mit Verzögerungen im Betriebsablauf, Weichen- und/oder Signalstörungen, fahren mit alten U-Bahnen durch sehr alte sanierungsbedürftige U-Bahntunnel, planen Tramstrecken (mit deren Bau wir nicht vorankommen) oder auch gleich ein neues O-Bus-Netz. Unsere S-Bahnen fahren auf den Außenästen oftmals eingleisig, was den Betrieb anfällig macht. Eisenbahn-Infrastruktur haben wir zurückgebaut und zum Beispiel Bahnsteige so kurz neu aufgebaut, dass wir nicht „mal eben“ einen sechsten Doppelstockwagen an überfüllte Regios hängen können.

Wir treffen seit Jahren keine Entscheidung, ob wir mit der S-Bahn oder mehr Regios nach Falkensee fahren wollen. Der Mut (?) zu Improvisation und Pragmatismus ist uns abhandengekommen. Sonst führen wir schon, ohne Fahrzeugmehrbedarf, mit der RB 33 nach Zehlendorf oder sogar Steglitz. Wir kleben gelbe Streifen auf Straßen und nennen das „Pop-Up bike lane“, gehen aber nicht resolut gegen Falschparker vor. Für Radschnellwege brauchen wir Jahre. Die BVG, sie liebt uns weiter und geht in ihrem Marketing mit flotten Sprüchen über Unzulänglichkeiten locker hinweg (wer Twitter nutzt, weiß, was gemeint ist). „Pop- Up bus lanes“. also Busspuren, schaffen wir bisher nicht in kurzer Zeit, dafür werden Bus und Tram nachweislich langsamer. Und nicht nur Spießer werden sich in ihr Auto zurücksehnen, wenn sie bemerken, dass öffentlicher Raum teils verwahrlost, weil Regeln für viele nicht existent sind.

Ja, Berlin hat bundesweit vermutlich das beste ÖPNV-Netz. Das bestreitet sicher niemand ernsthaft. Aber die Bequemlichkeit und Verfügbarkeit des Autos, ob man das gut findet oder nicht, ist nun mal für viele Menschen attraktiv. Sie kennen möglicherweise im Ihrem Umfeld auch Menschen, die sagen: „Öffis? Nee, Danke!“. Es ist also trotz des im Allgemeinen guten Angebots noch ein weiter Weg, bis die Verkehrswende spürbar gelingt. Kommen muss sie aber.


Ein Zwischenruf zur ausgefallenen Verschrottungsprämie

Gottseidank möchte man sagen, dass dieser Kelch an uns vorübergegangen ist. Es wäre in Zeiten von Klimawandel und Dekarbonisierung wohl auch schlecht zu vermitteln gewesen, nun wieder SUV & Co. mit Verbrennungsmotoren zu fördern.

Der Koalitionsausschuss hat getagt und herausgekommen ist ein durchaus interessantes Papier (Titel: „Corona-Folgen bekämpfen, Wohlstand sichern, Zukunftsfähigkeit stärken“), das auch Passagen zum Themenfeld „Verkehr“ enthält. Vieles in dem Papier erinnert durchaus an Wahlprogramme oder Koalitionsverträge: „... wir werden ...“, „... wir wollen ...“, „... wir prüfen ...“, „... soll ...“, „... wird intensiviert ...“. Aber mit Häme würde man dem Programm nicht gerecht, denn es sind von den 57 Punkten über alle Themengebiete auch die meisten mit Summen hinterlegt. Wie auch immer das Geld dann in konkreten Vorha- ben und Projekten landet.

Interessant, dass dem Thema „Wasserstoff“ ein eigener Absatz (Punkt 36) gewidmet wird und mit einem Investitionsvolumen von 7.000.000.000 € innerhalb dieses Sonderprogramms mit wohl 130.000.000.000 € angegeben wird. Übrigens schreiben wir die Nullen bewusst aus ...

Dass auch wirklich alle Verkehrsträger bedacht werden, beweist der Absatz 35, Unterpunkt k):

„Neben der Bahn werden wir auch die Schifffahrt als klimafreundliches Verkehrsmittel stärken, modernisieren und digitalisieren. Dazu gehören unter anderem Ufersanierungen, die Modernisierung von Schleusen, Ersatzbeschaffungen von Schiffen und digitale Test- felder.“ Erwähnt wird unter anderem auch ein „Flottenerneuerungsprogramm Behördenschiffe“ (sicher wichtig) und auch ein zu schaffendes „Sofort-Programm Saubere Schiffe“. Denn man tau!

Und weil auch die Luft nicht fehlen darf, gibt es zwei Sätze zur Luftfahrt (35 l):

„Moderne Flugzeuge neuester Bauart emittieren bis zu 30 % weniger CO2 und Lärm. Wir werden die beschleunigte Umstellung von Flugzeugflotten auf derartige Flugzeuge unterstützen.“ Dafür sind 1.000.000.000 € vorgesehen. Nur wer bekommt die? Ryanair? EasyJet? Kapitalanlagefonds, die die Flugzeuge an die Airlines verleasen? Oder die Lufthansa zusätzlich zu den 9 Milliarden?

Wir überlassen es Ihnen, die Passagen zum ÖPNV, zur Bahn, zur E-Mobilität (gemeint sind Straßenfahrzeuge und nicht Züge, Loks und Straßenbahnen) und zum „Bus- und LKW-Flotten-Modernisierungs-Programm“ zu suchen und haben das Originaldokument des Bundesfinanzministeriums als Anlage beigefügt.

Dass hier in der wirtschaftlichen Situation des Landes nicht nur auf althergebrachte Konsumanreize gesetzt wird, sondern Zukunftsgewandtheit erkennbar wird, lässt immerhin hoffen. Denn nicht nur Bildung und Digitalisierung sind die Megathemen der Zukunft, sondern auch Nachhaltigkeit. Und dazu gehört eindeutig auch die Verkehrswende. Samt der dazu notwendigen Infrastruktur, was nichts anderes bedeutet als neue Kapazitäten zu schaffen und vorhandene zu sanieren bzw. zu ertüchtigen. Auch das wäre ein Konjunktur- programm.


Ein (weiterer) Zwischenruf zur S-Bahn-Ausschreibung

Die S-Bahn-Ausschreibung der beiden Teilnetze "Nord-Süd" und "Stadtbahn" ist nun, fast, auf dem Weg. Bereits heute, bei der "einheitlichen" S-Bahn, sind mehrere Unternehmen des im Bundesbesitz befindlichen Konzerns Deutsche Bahn AG beteiligt. Und der geneigte Fahrgast, der sich ein wenig mit der Thematik beschäftigt, hat bereits heute zuweilen das Gefühl, dass es mit der Abstimmung nicht ganz so einfach ist. Untermauert wird dies durch die vom Konzernbevollmächtigten der Deutschen Bahn für das Land Berlin, Alexander Kaczmarek, initiierte "Qualitätsoffensive", bei der alle Beteiligten an den berühmten runden Tisch geladen wurden, um Probleme übergreifend zu definieren und schlussendlich auch zu lösen. Und wenige Firmen sind es bereits heute nicht: natürlich die S-Bahn Berlin selbst, aber natürlich auch DB Netz, DB Station & Service, DB Energie ... und vielleicht ist diese Aufzählung noch nicht mal abschließend.

Die Berliner S-Bahn (wie auch im Grundsatz die Hamburger S-Bahn) ist, anders als die nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen S-Bahnnetze eine "Eisenbahn in der Eisenbahn". Wesentliches Unterscheidungsmerkmal sind Stromsystem und Stromzuführung. Auch die bis dato zentrale Nord-Süd-Achse, der Tunnel von Nord- bis Anhalter Bahnhof ist von seinem Querschnitt her auf die damaligen Fahrzeuge ausgelegt. Dies bedeutet: weder können Sie mit einem herkömmlichen Eisenbahnfahrzeug, z. B. dem klassischen westdeutschen S-Bahntriebwagen der Reihe 420, das Berliner S-Bahnnetz befahren, noch kann, beispielsweise im Falle von Infrastrukturstörungen, auf Gleisen der "normalen" Eisenbahn an der Störungsstelle vorbeigefahren werden. Alle immer wieder mal auftauchenden Überlegungen, die Berliner S-Bahn auf die klassische Wechselstrom-Oberleitung umzustellen, wurden wegen der immensen Kosten im Keim erstickt. In Hamburg ist das grundsätzlich auch so, hier bedient man sich aber seit einigen Jahren Zwei-System-Fahrzeugen, die auf der Strecke nach Stade (evtl. in einigen Jahren Cuxhaven) ab HH-Neugraben unter der normalen Oberleitung verkehren können.

Diese "Eisenbahn in der Eisenbahn" wird nun in drei Teilnetze aufgeteilt:

Das Teilnetz "Ring" hat die bisherige Betreiberin bereits gewonnen und ist in der Beschaffungsphase neuer Fahrzeuge der Baureihe 484/484. Wir stehen nun vor der Ausschreibung der beiden weiteren Teilnetze "Stadtbahn" und "Nord-Süd". Hierfür werden sich also Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) bewerben können, die mit, so ist es der politische Wille, vom Land Berlin beschafften und an das jeweilige EVU verleasten Fahrzeugen den Betrieb abwickeln sollen. Nur das Netz "Ring" wird mit den neuen, DB-eigenen Fahrzeugen der Baureihe 483/484 bedient werden. Vorgesehen ist, dass auch die Instandhaltung der neuen landeseigenen Fahrzeuge durch weitere Beteiligte erbracht werden sollen. Dafür werden neue Werkstattflächen an der Peripherie gehandelt: Schönerlinder Straße im Nordosten (heute noch gar nicht an das S-Bahnnetz angeschlossen und nur mit erheblichem Infrastrukturaufwand darstellbar) oder auch Waßmannsdorf im Südosten. Es besteht die Gefahr, dass die traditionelle Werkstätteninfrastruktur (Schöneweide, Wannsee, Friedrichsfelde) nicht mehr ausgelastet und dann in Konsequenz reduziert werden wird. In Konsequenz kämen zu den heutigen Playern am System Berliner S-Bahn ggf. noch einige weitere dazu: ein oder zwei weitere EVU und ein oder zwei weitere Fahrzeuginstandhalter für die Fahrzeuge des Landespools.

Möchte man sich nun vorstellen, was im Falle einer Störung passiert? Bleibt beispielweise ein Zug in Humboldthain liegen und blockiert die Strecke: darf der Nord-Süd-Betreiber schnell und unkompliziert auf den Ring ableiten? Oder bei einer Störung in Westkreuz Ringbahnzüge zum Betreiber "Stadtbahn" über die Verbindungskurve nach Charlottenburg?

Bis hierher fassen wir also zusammen:

Die Berliner S-Bahn ist ein eigenes Subsystem innerhalb des Gesamtsystems "Eisenbahn". Die im Zuge der Bahnreform geschaffene Deutsche Bahn AG besteht aus einer Reihe von Einzelgesellschaften, die auf das "System Berliner S-Bahn" wirken und heute schon einigen Koordinierungsaufwand verursachen. Erhöht man nun die Zahl der auf das System einwirkenden Unternehmen, die einander zudem völlig fremd sind, erhöht man auch den Koordinierungsaufwand im Störungsfall erheblich. Aus unserer Sicht wird Flexibilität mindestens stark eingeschränkt. Ob sich unkomplizierte und schnelle Zusammenarbeit im Störungsfall "par ordre du mufti" durchsetzen lässt, bezweifeln wir.

Die Befürworter der Teilnetzausschreibungen werden nun einwerfen: mehr Wettbewerb, mehr Qualität, geringere Preise. Auf viele Bereiche der Marktwirtschaft trifft das auch zu. Aber hier?

Ausschreibungen erfolgen "netto" oder "brutto". Ersteres bedeutet, dass der Betreiber die Fahrgeldeinnahmen behalten darf, er hat also einen Anreiz, duch Service, Pünktlichkeit etc. die Einnahmen zu steigern. "Brutto" bedeutet das Gegenteil: der Betreiber bekommt eine feste Vergütung für die Erbringung der Leistungen (böse Zungen sprechen dann von "Lohnkutscher"); die Fahrgeldeinnahmen landen beim Aufgabenträger. Bei diesem Modell hat der Betreiber wenig bis keine Anreize, mehr als das vertragliche Mindestmaß zu erbringen und neue Fahrgäste zu gewinnen.

Ob die beiden geplanten Ausschreibungen nun "netto" oder "brutto" sind, wissen wir noch nicht. Sicher sind auch Mischformen denkbar. Aber stellen Sie sich bitte einmal vor, Sie möchten von West- nach Ostkreuz reisen. Zeitlich ist es eigentlich egal, ob Sie sich für die Stadt- oder die Ringbahn entscheiden. Dies wird in Zukunft sicher nicht anders sein. Was aber anders sein wird: Entscheiden Sie sich für die Stadtbahn, fahren Sie möglicherweise mit einem Unternehmen aus Großbritannien, einem, hinter dem die französische oder niederländische Staatsbahn steht, oder vielleicht auch einem chinesischem. Das ist per se nicht schlimm. Aber die einheitliche Berliner S-Bahn ist es dann ganz gewiss nicht mehr. Und die jüngere Vergangenheit zeigt, dass die Vergabe komplexer Netze im Regionalverkehr häufig zu erheblichen Schwierigkeiten führte. Ein Beispiel: Neufahrzeuge waren einfach noch nicht einsatzbereit, was teils zu bizarren Ersatzverkehren führte. Dies möchte man sich für die hiesige S-Bahn nicht unbedingt vorstellen. Und gerüchteweise haben neue Betreiber zuweilen erhebliche Schwierigkeiten, ausreichendes und qualifiziertes Personal zu finden.

Betrachten wir die drei "Kostentreiber" beim Betrieb einer Eisenbahn: Infrastruktur, Fahrzeuge und Personal.

Da die Infrastruktur (Netz und Stationen) im DB-Konzern verbleibt, wird es hier keinerlei Unterscheidungsmerkmale geben können. Weder im Preis noch in der Qualität, die Nutzungsgebühren der Infrastrutur sind einheitlich. Möglicherweise kann sich ein Betreiber beim Bezug des Stroms einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Aber auch das erscheint unwahrscheinlich, da der Aufgabenträger sicher auch die Produktionsweise des Stromes, Stichwort Klimaschutz, vorschreiben wird.

Bei den Fahrzeugen zeigt die Erfahrung seit der Regionalisierung des Nahverkehrs, dass die Aufgabenträger dazu neigen. die Konfiguration der Fahrzeuge bis hin zur Armlehne, dem Sitzbezug und dem Ablagetischchen vorzuschreiben (was übrigens dazu führt, dass aufgrund der häufigen Forderung "Neufahrzeug" sehr viele noch einsetzbare Fahrzeuge im "Stillstandsmanagement" oder gleich auf dem Schrott landen - vor dem Ende der üblichen eisenbahnbetrieblichen Nutzungsdauer). Über die Fahrzeuge wird sich also kein Betreiber differenzieren können und auch die Leasingzahlungen an das Land Berlin sind für jeden Bewerber identisch.

Bleibt das Personal. Man muss nur auf das Beispiel Ryanair schauen, um zu erkennen, dass das Merkmal "günstiger Preis" auf Kosten des Personals erkauft wird. Denn sowohl Leasingraten bzw. Abschreibungen für die Flugzeuge als auch Treibstoffkosten sind für alle Airlines im Grundsatz gleich. Für die Berliner S-Bahnausschreibung ist davon auszugehen, dass die Politik darauf achten wird, dass Personalschlüssel, Qualifikation und insbesondere Vergütung geregelt werden. Also (richtigerweise) auch hier keine Differenzierungsmöglichkeit. Aber: in Zeiten des demographischen Wandels werden sich Arbeitnehmer vielleicht sehr genau anschauen, bei welchem Arbeitgeber sie einen Arbeitsvertrag unterschreiben.

Unseres Erachtens gibt es also in den drei Kostenblöcken Infrastruktur, Fahrzeuge und Personal tendenziell keine relevanten Kalkulationsvorteile einzelner Bewerber. Würde die Ausschreibung als Brutto-Vertrag erfolgen, gäbe es auch keinerlei Anreize, über das geforderte Maß hinauszugehen.

Bleibt noch die Renditeerwartung, mit der die jeweiligen Betreiber kalkulieren. Hier sagen nun die Ausschreibungsbefürworter und Kritiker der S-Bahn Berlin GmbH, die Deutsche Bahn kalkuliere und kassiere "Monopolgewinne". Selbst wenn das so wäre, bleibt die rhetorische Frage: Wem gehört eigentlich die Deutsche Bahn AG und an wen schüttet sie Gewinne aus? Unserer Kenntnis nach ist das der Staat, also wir alle.

Und die Qualität?

Deren Einhaltung wird, wie es bereits heute geschieht, permanent kontrolliert und bei Nichteinhalten der Vorgaben durch "Strafzahlungen" (sog. Pönale) sanktioniert.

Dies war jetzt eine ganze Reihe von Aspekten, die wir hier natürlich nur oberflächlich darstellen konnten. Das so gewonnene Bild reicht aber schon, um sich die Frage zu stellen, worin also die Vorteile liegen, das Berliner S-Bahnnetz organisatorisch und betrieblich auseinanderzureißen? Wir sehen es momentan nicht.

Wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser, anderer Meinung sind, schreiben Sie uns bitte gerne. Wir sind gespannt!

Und übrigens: Danke, dass Sie bis hierher durchgehalten haben ;-). Schon jetzt wünschen wir Ihnen allen schöne Pfingstfeiertage und bleiben Sie bitte weiterhin vernünftig und besonnen.

Freundliche Grüße

Michael Rothe