Virtuelle VIV-Sonderveranstaltung am Dienstag, 15.03.2022

Vierzehn Tage dauerte der Krieg in der Ukraine und viele Menschen waren auf der Flucht. Wer von uns das große Glück hatte, nie einen Krieg miterleben zu müssen, kann wohl schwer ermessen, was das bedeutet. Es lässt sich kaum in Worte fassen und wir waren und sind nicht nur von den Bildern und Berichten betroffen, sondern auch dem Wissen, dass Krieg und Gewalt so nah sind. Dass es uns auch betreffen könnte, beginnen wir zu ahnen.

Und so hatten nach kurzer Zeit bereits bereits mehr als zwei Millionen (Q: tagesschau.de) Menschen ihre Heimat verlassen müssen. Viele von ihnen blieben in Polen, viele reisten weiter nach Westen. Der Eisenbahn kam dabei eine herausragende Bedeutung zu und Berlin war auf einmal zu einer Drehscheibe geworden. Denn hier endeten die EuroCities aus Polen, aber auch viele Sonderzüge von der deutsch-polnischen Grenze. Menschen reisten weiter, blieben hier, suchten eine Bleibe, mussten mit dem Nötigsten versorgt werden. Und in vielen Fällen auch seelsorgerisch betreut werden.

Für die Verantwortlichen vor Ort am Berliner Hauptbahnhof (aber auch am Bahnhof Südkreuz) bedeutete dies quasi aus dem Nichts eine riesige Herausforderung, musste doch in aller kürzester Zeit eine Organisation hergestellt werden, die all das bewältigen sollte. Die damit klarkommen konnte, wenn 1.400 Menschen aus einem Zug steigen. Menschen in Not.

Alexander Kaczmarek, der Bahnchef für Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, nahm sich die Zeit, uns davon zu berichten, vor welchen Herausforderungen er und die Eisenbahnerinnen und Eisenbahner in den vergangenen 14 Tagen standen und noch stehen, wie die Verzahnung mit den Hilfsorganisationen klappte, wie die (Berliner) Politik all dies unterstützte und wie es weitergehen konnte. Denn es ist nicht absehbar, dass sich daran so schnell etwas ändern wird.

Unser Zoom-Meeting begann am Dienstag, 15.03.2022, um 17:30 Uhr und endete um 19:00 Uhr.

#stopptdenkrieg

 


Zwischenruf zum Berlin-Brandenburgischen Bahngipfel

„Das ist doch der Gipfel“ steht als Redewendung gemeinhin für eine Unverschämtheit, eine Zumutung bzw. eine Frechheit. In der Politik ist das anders: dort suggeriert der „Gipfel“ Kompetenz, „alle an einen Tisch“, Problem- und Lösungsbewusstsein sowie Entscheidungsfreude.

Aber: Klimagipfel, Rentengipfel, Dieselgipfel – sie alle legen Zeugnis davon ab, dass die suggerierten Erwartungen nicht erfüllt werden.

Nun haben also nach einem Bericht des TAGESSPIEGELS vom 18. Januar Berlins „Neue“, die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey, und der Brandenburgische Ministerpräsident Dietmar Woidke vereinbart, auf die Deutsche Bahn zuzugehen, um noch im ersten Halbjahr 2022 einen, Sie ahnen es, Berlin-Brandenburgischen Schienengipfel anzuberaumen.

Nur: Was soll das bringen?

Alle Projekte liegen auf dem Tisch, in Bezug auf Regional- und S-Bahn unter dem Titel „i2030“. Was fehlt, sind oftmals Entscheidungen und die Finanzierung. Die an dieser Stelle oft zitierte „Potsdamer Stammbahn“ ist ein schönes Beispiel: hier drückt sich das Land Berlin bisher um die Systementscheidung, weil, unter anderem, nicht als Metropolregion gedacht wird. Und auch bei Spandau-Nauen wird seit Jahren geplant und untersucht, weil sich beide Länder nicht auf ein System verständigen konnten. Nun kommt hier, wie es so aussieht, die Maximallösung: Ausbau von Fern-, Regional- und S-Bahn. Vielleicht sogar mit Abzweig auf die Bötzowbahn zum Falkenhagener Feld.

An einem weiteren länderübergreifenden Projekt, der U7 zum BER, hat die Berliner SPD-Führung offenbar einen Narren gefressen. Nochmals zur Einordnung: Im Jahr 2019 hatte Berlin 35.65 Mio. Fluggäste, 2021 waren es 9,95 Mio. (Q: FBB-Verkehrsstatistik), was 27,9 % entspricht. Und wir haben Verkehrsinfrastruktur von/zum und unter dem Flughafen, die zurzeit dramatisch untergenutzt ist. 2025 kommt dann noch die Dresdner Bahn dazu. Insoweit Trassenfreihaltung: ja, klar! Aber wie kommt man auf die Idee, die vielen wichtigen Projekte medial auf eines zu verengen? Ist das schon Verkehrspolitik? Wohl kaum.

Wir sind also gespannt auf die Entscheidungen des Berlin-Brandenburger Bahngipfels! Unsere Prognose: „Die Beteiligten haben in großer Einmütigkeit entschieden, die drängenden Probleme jetzt zeitnah zu beobachten und regelmäßig zu besprechen. Entscheidungen müssen getroffen werden. Zur Vorbereitung der Entscheidung werden vertiefende Untersuchungen beauftragt werden.“ Na dann: Auf zu Esso ... einmal volltanken.


Zwischenruf in eigener Sache

Liebe VIV-Mitglieder,
sehr geehrte Damen und Herren,

der eine oder andere von Ihnen kennt das sicher: der Arzt sagt: „weniger Zucker, weniger Fett, weniger Bier/Wein, bewegen Sie sich mehr, nehmen Sie ab, hören Sie auf zu rauchen.“ Klingt nach Verzicht und damit nicht besonders sexy. Die Vernunft sagt: „Ja, mache ich“. Da trifft es sich gut, dass auch die Nacht der guten Vorsätze naht. Und dann? Irgendwann stehen Sie vor dem Kühlschrank oder der Süßigkeitenschublade und müssen sich entscheiden. Oder Sie stehen vor dem Auto und stellen sich die Frage: „Laufen oder doch schnell das Auto nehmen“?

Was hat das mit „Verkehrserklärer“ oder gar „Verkehrspolitik“ zu tun? Wir kommen darauf zurück.

„Verkehrserklärer“ ist seit ein paar Jahren unser Slogan. Warum eigentlich der? Manche nennen ihn auch beliebig und fragen: „Wofür stehen die eigentlich?“ Um ehrlich zu sein: wir würden gerne mehr Verkehrspolitik machen. Aber nicht im Sinne von „Wir fordern mehr dieses, mehr jenes“ (ja, das tun wir auch, siehe z. B. Stammbahn) oder „Die BVG/DB/S-Bahn/ODEG etc. muss endlich …“ Um nicht missverstanden zu werden: das ist berechtigt und wird durch Partnerorganisationen auch sehr gut gemacht!

Unser Anspruch wäre aber zu versuchen herauszufinden, warum etwas so ist wie es ist. Und wie man es ggf. ändern kann. Denn unser Bild von den für ÖV in der Region Verantwortlichen ist, dass sie zunächst einmal ihr Bestmögliches versuchen. Das sind die Experten. Damit „verzwergen“ wir uns keineswegs, aber erkennen an, dass die Dinge in der Realität oftmals komplexer sind. Es braucht also fundiertes Wissen und das ständige Begleiten politischer Prozesse, um qualifiziert mitreden zu können. Das kostet, keine Überraschung, Zeit, viel Zeit. Zeit, die wir als VIV-Verantwortliche z. B. jobbedingt, nicht haben. Aus diesem Grund haben wir uns bereits vor einigen Jahren darauf verständigt, uns als Plattform zu verstehen, die Angebote macht. Angebote an Sie, sich selber ein Urteil zu bilden. Und ja, natürlich ist zuweilen auch ein wenig „Tag der offenen Tür“ dabei. Das ist auch gut so (und findet meistens das regeste Interesse).

Wir kommen zurück auf den ersten Absatz: Die Überschwemmungen im Ahrtal sind zunächst ein Wetterereignis. Klimawandel ist nicht greifbar, er kommt sukzessive und mit ggf. drastischen Auswirkungen in der Zukunft. In der Zukunft unserer Kinder oder Enkelkinder. Es ist ein bisschen so wie mit dem eingangs erwähnten Arzt: die Gefahr ist nicht greifbar. Erst wenn Schlaganfall oder Herzinfarkt eingetreten sind, wissen wir: „Es wäre wohl besser gewesen, …“.

Wenn wir uns, liebe Leserin, lieber Leser, darauf verständigen können, dass die überwältigende Mehrheit der Wissenschaft Recht hat, dann müssen wir als Gesellschaft (der/die Einzelne ist da komplett überfordert) scheinbar etwas tun. Schnell. Nachhaltig. Deutlich.

Unter #Verkehrswende, unser Gebiet, ist eben mehr zu verstehen, als einen Verbrennungs- durch einen Elektromotor zu ersetzen.

Klar ist schon heute: wir werden in Zukunft viel mehr Strom benötigen als heute. Für die Digitalisierung, für die Umstellung der Industrie, für den Verkehr. Wenn wir den regenerativ herstellen wollen, das setzen wir voraus, geht das in Deutschland im Wesentlichen nur mit Wind und Sonne. Das kostet Fläche; wir werden nicht mehr über jedes Windrad streiten können. Die „Nauener Platte“ mag da nur ein Vorgeschmack sein, aber wenn wir energiehungrig bleiben, wird es nicht anders gehen, als mehr Flächen an Land und auf der See für Energieerzeugung zur Verfügung zu stellen.

Dennoch bleibt Strom ein wertvolles Gut. Womit wir wieder beim Verkehr wären. Ist es sinnvoll, das knappe Gut Strom dafür zu verwenden, mit einem 2,5 t schweren Gefährt einen Menschen innerhalb einer gut erschlossenen Stadt (wir reden nicht über das Land, das komplett anders zu betrachten ist) zu transportieren? Wohl kaum.

Wir werden also, so viel ist klar, mindestens in den Städten weniger Auto fahren und wenn, dies mit leichteren Fahrzeugen tun müssen. Auch wenn sie elektrisch angetrieben werden. Nun wissen wir von unserem Arztbeispiel: „weniger“ ist immer schwierig, zumal wenn im Hier und Jetzt die Gefahr nicht konkret erkennbar ist. „Verzicht“ ist zunächst kein schönes Wort.

Wer aber sagt, dass die Zukunft von Askese und Verzicht geprägt sein wird?

Klingen menschenfreundlichere Städte, die nicht wie seit siebzig Jahren an vielen Stellen und mit sehr viel Fläche dem Automobil untergeordnet werden, nach Askese und Verzicht? Oder ist das vielleicht sogar eine ganz attraktive Vision? Klingen mehr noch als bisher gut ausgebaute öffentliche Verkehrsmittel, die in dichtem Takt verkehren, sauber, komfortabel und schnell sind, nach Askese und Verzicht? Zugegeben: wenn Sie heute im Berufsverkehr in einem voll besetzten Scania-Gelenkbus der BVG befördert werden, ist das eine verkehrs- politische Utopie, in der sie sich nach nichts mehr als in Ihr Auto zurückwünschen. Aber das muss ja nicht so bleiben.

Es ist eine politische Aufgabe, Lust auf eine anders gestaltete Zukunft zu machen. Zu zeigen, dass es gehen kann, wie es gehen kann und was das in etwa für jeden persönlich bedeuten könnte. Denn Unwissenheit erzeugt Angst und Abwehr.

Zur Wahrheit gehört aber auch:

Projekte müssen schneller realisiert werden können. Verständliche Interessen von Betroffenen müssen berücksichtigt werden, dürfen aber nicht dazu führen, dass das Allgemeininteresse dauerhaft blockiert wird. Die Straßenbahn am Ostkreuz ist da nur ein kleines Beispiel.

In diesem Sinne werden wir also in Zukunft verstärkt versuchen, Verkehr zu erklären. Denn wir glauben: es muss sich nicht nur in der Verkehrspolitik etwas ändern, sondern auch bei vielen von uns: die Aufgeschlossenheit und die Neugierde auf etwas Neues, Anderes!

In diesem Sinne wünschen wir Ihnen ein friedliches Weihnachtsfest und ein gesundes, glückliches, neues Jahr 2022! Bleiben Sie uns gewogen, bitte.

Freundliche Grüße

Michael Rothe


Zwischenruf zum „Ideenzug City“

Im ehrwürdigen S-Bahn-Werk Schöneweide steht zurzeit inmitten der großen Werkhalle ein S-Bahnzug „aus der Zukunft“ - der sog. „Ideenzug City“. Kein echter Zug, sondern ein Modell in Echtgröße und effektvoll inszeniert. Dort wird er nun Fachleuten und der Öffentlichkeit präsentiert. Wir hatten am vergangenen Samstag zusammen mit anderen verkehrspolitischen Vereinen und Fahrgastverbänden eine Einladung zur Besichtigung. Dafür nochmals herzlichen Dank!

Was soll nun dieses, neudeutsch, Mock-up? Wenn man so will ist es eine Ideensammlung, was im Nahverkehr von morgen aus Kundensicht so gehen könnte. Zum Beispiel eine Fahrzielanzeige, die sich in der gerundeten Fahrzeugfront bei Einfahrt in den Bahnhof zur Seite bewegt und damit besser lesbar ist. Oder eine Auslastungsanzeige, die die einsteigenden Fahrgäste besser verteilen soll. Auch innen gibt es eine Menge Displays bis hin zu „Augmented Reality“ in den Fensterflächen, die z. B. virtuelle Landschaften zeigen könnte (bei manchem Streckenabschnitt inmitten von Lärmschutzwänden vielleicht nicht die schlechteste Idee). Auffällig auch ein variables Beleuchtungskonzept, was zu einer angenehmen Aufenthaltsqualität beitragen soll. Am Tag des Berliner Stadtderbys waren in einer illuminierten Deckenfläche z. B. die Wappen der beiden Berliner Fußball-Bundesligavereine dargestellt. Man mag das für Spielerei halten, zeigt aber, was mit LED- Technologie alles möglich ist. Und gibt es im Konkurrenten des öffentlichen Verkehrs, dem Auto, nicht auch jede Menge elektronische „Spielereien“?

Funktional gibt es auch interessante Ideen: Arbeitsbereiche für Menschen mit Laptop, teils sogar abgeschirmt zum Telefonieren, Stehsitze und normale Bänke, die sich im Berufsverkehr verschieben oder einfahren lassen, um mehr Platz zu schaffen. Variabilität ist also das Stichwort.

Es ist sicher kein Zufall, dass die S-Bahn inmitten wichtiger Ausschreibungsverfahren diesen Ideenzug zeigt (der so natürlich nie auf die Gleise kommen wird). Und Ausschreibung ist das Stichwort. Wenn Sie sich z. B. in einem TALENT II der Baureihe 442 auf ihrem Sitzplatz beengt fühlen. dann ist das in der Systematik des Regionalverkehrs ja nicht die Idee des Eisenbahnverkehrsunternehmens (EVU) den Zug sehr eng zu bestuhlen, sondern die Konfiguration und Ausstattung, die in der Ausschreibung verlangt wurde. Sie müssten also Ihren Protest im Falle Berlin-Brandenburgs an den VBB richten, nicht an das EVU. Und eines lässt sich betriebswirtschaftlich nicht beiseite wischen: Komfort und Platz kosten Geld. Wer schon mal „Business Class“ statt „Holzklasse“ geflogen ist, dem ist dieser Effekt sehr deutlich geworden – im tatsächlichen Platz UND im Portemonnaie.

Nun sind Verkehrsmittel wie Bus, Straßenbahn, S- und U-Bahn auf hohe Kapazitäten hin optimiert. Individuelle Fahrgastbedürfnisse hinsichtlich des Komforts sind jenseits von „Stehen“ und „Sitzen“ eigentlich nicht vorgesehen. Aber: diese Verkehrsmittel konkurrieren mit dem Auto. Und dieses bietet seit Jahren immer mehr Komfort in Form von Platz und technischen Ausstattungen. Deswegen wird es auch immer größer und schwerer. Ein großes SUV wiegt mittlerweile 2,5 Tonnen – leer.

Zugespitzt könnte man formulieren: es konkurrieren 2,5 Tonnen zur Beförderung eines Menschen gegen die drangvolle Enge in einem gut ausgelasteten Massenverkehrsmittel.

Unsere Prognose: da wird es schwierig mit der #Verkehrswende und der deutlichen Reduzierung des Autoverkehrs in den Städten. Wenn man es denn über Angebote regeln möchte.

Vor diesem Hintergrund ist es sicher gut und richtig, sich über Komfortmerkmale Gedanken zu machen und die denkbaren Möglichkeiten auch mal „zum Anfassen“ zu präsentieren. Ein Umdenken braucht es aber bei den Aufgabenträgern! Und dazu Geld, denn: Komfort, auch in Form von Platz, kostet Geld (mehr Züge, mehr Personal, …). Es ist aber auch an den Nutzerinnen und Nutzern, also den Fahrgästen, hier aktiv mehr zu fordern! Mehr Strecken, mehr Züge, mehr Komfort.


Zwischenruf zu 50 Jahre InterCity

Vor fünfzig Jahren, 1971, richtete die damalige Deutsche Bundesbahn ein wegweisendes Fernverkehrssystem ein, den InterCity. Modernes Wagenmaterial, 200 km/h Höchstgeschwindigkeit und Komfort vermittelten ein neues Reisegefühl. Die neue Elektrolokomotive der Baureihe 103 vervollständigte das Bild einer neuen Bahn, die schon damals auf den steigenden Individualverkehr reagieren musste. Aber erst acht Jahre später, 1979, trat der wirkliche Erfolg ein: Taktverkehr, Einführung der 2. Klasse. „Jede Stunde, jede Klasse“ war der passende Slogan. Jahre später kam der InterRegio hinzu, ein ebenfalls im Takt verkehrender schneller Zug, aber eher abseits der Magistralen fahrend und auch kleinere Orte bedienend, sollte er das System ergänzen.

1991 dann die Einführung des ICE – eine Revolution. Ungeahnter Komfort („ein Traum in Pastell“) und Schnelligkeit durch die Nutzung der Neubaustrecken Hannover-Würzburg sowie Mannheim-Stuttgart. Schnell aber auch, weil nicht an „jeder Milchkanne“ gehalten wurde.

„Ich fahre ICE“ wurde, zumal unter Bahnlaien, zu einer Art Statussymbol – es war etwas Besonderes. Die Marke „ICE“ erlangte für die Bahn schnell einen unschätzbaren Wert. Folglich wurden in den Folgejahren weitere Strecken auf ICE umgestellt und die Flotte erweitert: ICE1, ICE2, ICE3 (auch in den Varianten 3M und VELARO), ICE4, ICE-T, ICE-TD (inzwischen ausgemustert) und zukünftig auch ICE-L.

ICE-L? Nun, „L“ steht für „low floor“, also niedrige Fußbodenhöhe. Gemeint sind Züge des spanischen Herstellers Talgo, die dereinst den Sylt-Verkehr und die heutige EC-Linie 77 Berlin-Amsterdam übernehmen sollen. Mit ihnen wird nun erstmals auch ein lokbespannter Wendezug ein ICE sein. Warum denn nicht gleich den IC2 (bis auf die wenigen KISS-Einheiten ebenfalls ein lokbespannnter Doppelstockwendezug) in Anlehnung an den französischen „TGV 2N“ („deux niveaux“/„zwei Etagen“) als „ICE Dosto“ bezeichnen?

Und weil es mit der Marke „ICE“ so gut lief, wurden die alten Wagen auch gleich im ICE-Design lackiert. Böse Zungen sprachen in diesem Zusammenhang von „Lazarettwagen“, denn besonders gelungen wirkt das auf den alten Fahrzeugen bis heute nicht. Nun steht der klassische InterCity („IC1“) kurz vor der Ausmusterung und wir haben in Zukunft „ICE“ und „IC2“. Der „IC2“ soll bei der Fernverkehrsoffensive bis 2030, Stichwort #Verkehrswende, eine neue Rolle spielen: eigentlich die des früheren InterRegio.

Aber wofür steht die Marke „ICE“ heute und zukünftig?

Für „Schnelligkeit“, wenn der ICE auch in so illustren Orten wie Altenbeken, Angermünde, Bad Hersfeld, Bad Kleinen oder Stadtallendorf (Q: Wikipedia) hält? Früher eine Domäne des InterRegio. Hinzu kommt, dass die Marke „ICE“ inzwischen auch für Urlauberzug steht: Lindau und Bregenz, Binz auf Rügen oder Garmisch-Partenkirchen stehen als Ziele dafür. Und zukünftig eben auch Westerland auf Sylt mit dem ICE-L.

Steht die Marke für „besonderen Komfort“? Man tritt der Bahn nicht zu nahe, wenn man feststellt, dass das Komfortversprechen aus den Anfangstagen des ICE mit jeder neuen Zuggeneration etwas weniger eingelöst wurde. Fensterplätze, bei denen man auf eine Wand schaut? Im ICE1 undenkbar, im ICE4 Realität. Die Wagenkästen wurden wieder merklich schmaler, die Sitzabstände deutlich geringer. Betriebswirtschaft bleibt eben Betriebswirtschaft, wenn man die für Komfort notwendigen Preise am Markt (Stichworte: „Billig-Airlines“, „FlixBus“) nicht durchzusetzen vermag.

Vielleicht denkt der eine oder andere Marketing-Spezialist bei der DB im Stillen doch darüber nach, ob es nicht sinnvoll sein könnte, das Produktversprechen, zum Beispiel hinsichtlich des Merkmals „Reisegeschwindigkeit“, in Zukunft wieder ein wenig zu differenzieren?

Ansätze gibt es, zum Beispiel durch die „ICE Sprinter“. Warum nicht auch das Gegenteil: „ICE Regio“? Oder eben doch: „InterCityExpress“ als Premiumangebot und ergänzend „InterCity“ sowie „InterRegio“.

Das Produkt ist eben nicht die „Hardware“, der Zug als solches, das Produkt ist die Dienstleistung „Beförderung von A nach B“. Und die kann hinsichtlich „Komfort“, „Reisegeschwindigkeit“, „Taktangebot“ etc. eben verschieden sein.

Zur Erinnerung: der ICE4 firmierte sehr lange unter dem Projektnamen „ICx“. Man muss ihn ja nicht gleich wieder blau anmalen ….


Zwischenruf zu den laufenden Sondierungsgesprächen

In Berlin und im Bund sondiert die Wahlgewinnerin gerade mit verschiedenen Parteien. Ob es am Ende in Berlin „RGR“, die „Ampel“ (die im Bund gesetzt zu sein scheint) oder gar „Deutschland“ wird, wissen wir nicht. Wenn wir uns aber etwas wünschen dürften, dann wäre es eine Verkehrspolitik, die ….

  • die Verkehrswende nicht nur über Fahrradstreifen, „Elektrifizierung des Autos“, E-Scooter und Car-Sharing definiert, sondern für die selbstverständlich der ÖPNV Rückgrat der Verkehrswende ist.
  • die Mobilitätsformen des Umweltverbunds nicht gegeneinander ausspielt, sondern sinnvoll ergänzt.
  • Mut hat! „Alles soll sich ändern, aber nichts darf sich verändern“ funktioniert nicht. Wenn knapper öffentlicher (Verkehrs-)Raum neu aufgeteilt wird, wird es „Gewinner“ und „Verlierer“ geben. Dies muss moderiert werden. Dies verlangt auch der Bevölkerung einiges ab, nämlich: Gemeinwohl geht vor Eigeninteressen.
  • endlich Entscheidungen zu i2030-Projekten trifft! Denn eines ist klar: 2030 ist bei den meisten Projekten nicht mehr zu schaffen. Leider. Entscheidungen müssen insbesondere fallen zu Spandau-Falkensee, der Potsdamer Stammbahn, aber auch weniger spektakulären Projekten wie zum Beispiel zusätzliche Bahnsteigkanten an der Ringbahn oder kürzere Signalabstände zur Erhöhung der Kapazität.
  • Brandenburger und Berliner Interessen verzahnt. Schließlich bedeuten weniger Pendler-Pkw aus Brandenburg auch mehr Lebensqualität in Berlin. Und mit „Brandenburg“ sind nicht nur die Orte des Speckgürtels gemeint, sondern beispielsweise auch Neuruppin und Ketzin, Orte an der Ostbahn oder Landstriche wie die Prignitz.
  • nicht „U-Bahn“ gegen „Straßenbahn“ stellt, sondern nüchtern überlegt, wo welches Verkehrsmittel seine jeweiligen Stärken und Schwächen hat und wie die knappen Mittel am Nutzbringendsten eingesetzt werden können. Beispiel: Sicher sind die Mittel für die westliche U7-Verlängerung effizienter für ein flächendeckendes Spandauer Straßenbahnnetz einsetzbar. Dies gilt umgekehrt auch für sinnvolle U-Bahn-Verlängerungen (Pankow, Lankwitz, …?).
  • auch jenseits i2030 Entscheidungen im Sinne der Fahrgäste trifft. Zum Beispiel die wenig aufwendige Verlängerung der U3 zum S-Bahnhof Mexikoplatz, die eine Netzwirkung haben wird.
  • Trassen sichert. Zum Beispiel die der Neukölln-Mittenwalder Eisenbahn. Auch wenn heute nicht absehbar ist, dass solche Trassen in näherer Zukunft wieder reaktiviert werden. Aber das dachten wir zum Beispiel zwischen Lichtenrade/Frohnau/Heiligensee/Lichterfelde-Süd/Staaken/Spandau-West und der Stadtgrenze auch nicht …
  • Rückgrat zeigt und nicht aus dem Auge verliert, dass Anwohnerinteressen eben Anwohnerinteressen sind. Und nicht mehr. Nur ein Beispiel: Die Straßenbahn zum Bahnhof Ostkreuz nutzt vielen Menschen.
  • von Bayern lernt 😉: Projekte fertig geplant haben und bei Finanzierungsmöglichkeit aus der berühmten Schublade holen.
  • die Planungssicherheit schafft. Neue gesetzliche Vorgaben dürfen nicht dazu führen, dass abgeschlossene Planungsschritte „für die Katz'“ sind.
  • Prioritäten setzt und sich nicht verzettelt. Beispiel Siemensbahn: jetzt bauen bis nach Gartenfeld und sich nicht noch mit Verlängerungsfragen, die spätere Generationen beantworten werden, beschäftigen. Klar ist natürlich: nichts dauerhaft und aufwendig verbauen!
  • Stadtentwicklung mitdenkt. So bieten sich mit einer Neuaufteilung der Verkehrsflächen Chancen, die die Stadt lebenswerter machen können. Französische Städte mit ihren neuen Straßenbahnnetzen zeigen Möglichkeiten auf. Ein Beispiel: Straßburg. Stadtentwicklung mitdenken kann aber auch heißen: Konzepte zur Verkehrsvermeidung entwickeln, indem bspw. „Wohnen“ und „Arbeit“ näher zusammenrücken. Dazu kann aber auch die Frage des Wirtschaftsverkehrs gehören, nämlich, ob die Bahn bei der Güterverteilung wieder eine größere Rolle spielen kann? Dazu braucht es mindestens erst einmal die Sicherung brachliegender Bahnflächen. Beispiel: der Güterbahnhof Wilmersdorf ist Geschichte, Tempelhof noch nicht.
  • die z. B. BVG und S-Bahn digital miteinander verzahnt. Beispiel: Wenn der in Lichtenrade, Heiligensee oder Wannsee nur alle 20 Minuten fahrende Bus eine Information bekommt, dass sich die S-Bahn nur ein, zwei Minuten verspätet, kann er evtl. warten. Anschlusssicherung in den Außenbezirken erhöht unmittelbar die Attraktivität.
  • die das System Eisenbahn größer im Sinne von europäisch denkt. Natürlich wird ein Flug Berlin-Paris immer schneller sein als es ein Zug je könnte. Wenn man aber zwei Stunden vor Abflug am Airport sein soll (und es soll einen neuen Flughafen geben, da reicht selbst das nicht …) sowie An- und Abreise berücksichtigt, stellen sich manche Fragen anders. Dabei muss man (innerdeutschen) Flugverkehr nicht verbieten, sondern attraktive Alternativen anbieten, die von den Nutzerinnen und Nutzern auch unter Klimagesichtspunkten anders als früher bewertet werden. Im Entwurf des „Deutschlandtaktes“ gibt es ihn jedenfalls schon: der aus Warschau kommende TEE 2 verlässt Berlin Hauptbahnhof um 14:33 Uhr und erreicht Paris Nord um 21:45 Uhr, also nach nur 7 Stunden 12 Minuten (Quelle: fernbahn.de).

Wahrscheinlich fallen Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, noch mehr oder andere Dinge ein. Die Liste kann nicht abschließend sein und ist, wir sind keine Phantasten, ein Stück weit idealistisch. Nur: Wann, wenn nicht jetzt, in Zeiten der Bildung neuer politischer Mehrheiten, darf man mal einen Wunschzettel schreiben? Die Advents- und Weihnachtszeit ist ja noch ein paar Wochen hin.


Zwischenruf zur Bundestags- und Abgeordnetenhauswahl

In wenigen Tagen ist es soweit: Bundestag und Abgeordnetenhaus in Berlin werden gewählt. Manche werden sagen: Endlich.

Ist es möglich, das Thema „Verkehrswende“ in so einem „Zwischenruf“ auch nur ansatzweise abzuhandeln? Wohl kaum. Versuchen wir dennoch einen groben Überblick und laden Sie herzlich zu einem etwas längeren Text als gewöhnlich ein.

Der „Deutschlandtakt“ verheißt der Bahn eine große Zukunft; die Zahlen im Fernverkehr sollen von heute 150 Mio. auf 300 Mio. Fahrgäste 2030 steigen, Güter sollen vom Lkw auf Bahn. Dazu braucht es mehr Züge, die wiederum mehr Infrastruktur benötigen. Großprojekte wie Neubaustrecken fallen darunter, aber auch vermeintlich „einfache“ Dinge wie mehr Gleise, mehr Bahnsteigkanten, mehr Leit- und Sicherungstechnik, niveaufreie Ein- und Ausfädelungen etc. Wenn wir das Planungs- und Genehmigungstempo beibehalten, wird das Ziel deutlich verfehlt werden. Schon jetzt ist die Zeit knapp. Dazu braucht es aber eine neue, auch kritische, Aufgeschlossenheit der Bevölkerung gegenüber Infrastrukturprojekten – wie auch immer man die erreicht. Das ist Politik! Aber der alte Tucholsky-Spruch „vorne die Friedrichstraße, hinten die Ostsee“ passt im übertragenen Sinne auch hier: alles geht nicht.

Natürlich gibt es schon heute attraktive Fahrzeiten im Punkt-zu-Punkt-Verkehr. Wer von Berlin-City nach Hamburg-City möchte, muss, jedenfalls wenn es um Fahrzeiten geht, nicht über Alternativen nachdenken. Benötigt man größeres Gepäck, kann die Sache schon anders aussehen. Und wer dann gar noch, zum Beispiel, nach Jork in das Alte Land will, für den wird es schon schwierig. Ja, klar, es geht mit dem ÖPNV. Manchmal sind es die kleinen Dinge: das Finden der Bushaltestelle zum Beispiel (Linie 436 in Hangelsberg …). Aber auch der Tarifdschungel der einzelnen Verkehrsverbünde mit ihren Waben, Tarifzonen, etc. Wer dann noch den Verkehrsverbund wechselt … Ich unterstelle, dass es auch Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, die Sie dem ÖPNV zugetan sind, zuweilen schwerfällt. Wie soll es denn erst einer/einem hier als „Normalo“ angenommenen Autofahrenden gehen?

Für den Vor- und Nachlauf einer Reise, insbesondere in den ländlichen Regionen, zwischen zwei Knotenpunkten brauchen wir also noch Lösungen, wenn die Verkehrswende im Alltag gelingen soll. Verfügbarkeit (Taktung) und Einfachheit (Tarife, Nutzung) wären hier zwei Stichworte.

Noch ein letzter Gedanke zur Bahn: in den „think tanks“ der Deutschen Bahn wird sicher bereits darüber nachgedacht, was es bedeuten könnte, wenn dereinst die Grenzen zwischen privatem und öffentlichem Verkehr verschwimmen und uns Roboterautos über Nacht von Haus zu Haus bequem über große Entfernungen transportieren. Warum sollte man sich dann noch in ein Massenverkehrsmittel setzen, wenn es auch bequem individuell geht? Keine schöne Frage. Antworten dazu könnte der letzte Teil des Textes enthalten, der sich mit unserem Energieverbrauch beschäftigt.

Wo wir bei Fahrzeiten waren: der rein innerdeutsche Flugverkehr, davon darf man ausgehen, spielt mit besseren Bahnverbindungen (und wohl auch mehr Videomeetings) eine zunehmend geringere Rolle. Von Berlin aus geht es sowieso nur noch nach Frankfurt, München, Köln/Bonn, Düsseldorf und Stuttgart. Bei Stuttgart ist der Flieger heute einfach deutlich schneller, bei Frankfurt/München ist sicher erheblicher Umsteigeverkehr dabei und bei den beiden Zielen im Westen wird die ICE-Linie 10 ab Dezember durch Non-Stop-Züge Berlin-Köln nochmals attraktiver. Aus unserer Sicht sollte man das Thema nicht mit Verboten, sondern Angeboten regeln. Und gute Angebote werden auch angenommen, wie die Gegenwart bereits zeigt.

Das Auto. Immer länger, breiter, luxuriöser und damit schwerer. Aber alles wird gut: Elektromobilität. Wird alles gut?

Versuch einer Annäherung: Deutschland hat sich entschieden, seine Energieversorgung grundlegend umzustellen: Ausstieg aus der Kernenergie, der Kohleverstromung und der Verbrennung von Kohle bei industriellen Prozessen. Wir wollen das hier nicht diskutieren, können aber feststellen: ein ehrgeiziges Ziel.

Schon heute spielen regenerative Energien eine wichtige Rolle in der Stromversorgung. Will man nun den kompletten Strombedarf umstellen, wird klar: es braucht mehr Windräder, mehr Photovoltaik, mehr Wasserkraft, mehr Stromtrassen zum Transport, mehr Bereitschaft der Bevölkerung, diese Eingriffe mitzutragen (siehe oben). Und durch die anstehenden Umstellungen im Verkehrs- und Industriebereich wird der Strombedarf deutlich größer werden. Wir sind keine Physiker, aber es wäre interessant zu recherchieren, z. B. bei den großen Wirtschaftsforschungsinstituten (DIW, ifo, IdW), welche Konsequenzen sich daraus ergeben.

Betrachten wir bei den Themen „Verkehrswende“ und „Auto“ mal nur die Ballungsräume und nicht „das Land“ mit seinen eigenen Herausforderungen, so können wir feststellen, dass in der noch immer autovernarrten Nation (Aufmacher der BILD-Zeitung vom 04.09.2021: „Angst um unser Auto!“) das Produkt Auto wie bisher gedacht wird: nicht kleiner, leichter, smarter, sondern tendenziell länger, breiter, schwerer, leistungsstärker („sportlicher“). Nur eben mit anderem Antrieb. Aber: ist es sinnvoll, im Stadtverkehr zwei Tonnen und mehr zu bewegen, nur um das Kind/den Enkel zur Schule zu bringen, zur Arbeit zu fahren oder eine Kiste Wasser zu transportieren? Ist es sinnvoll, die Stadt mit diesen Boliden vollzustellen und knappen Stadtraum als Parkplatz zu nutzen? Ist es sinnvoll, den wertvollen und knappen regenerativen Strom auch dafür zu verwenden? Für immer mehr Menschen lautet die Antwort: nein.

Wenn wir also unsere Städte lebenswerter machen wollen, muss nach siebzig Jahren Autozentrierung ein Zurückdrängen zugunsten anderer Verkehrsmittel erfolgen. Das Zurückdrängen ist übrigens nicht nur baulich gemeint, sondern fängt schon bei der härteren Bestrafung von Parken auf Geh- und Radwegen, an Kreuzungen, auf Busspuren oder Missachten von Tempobegrenzungen an. Sichtbar wurde in Berlin in den vergangenen fünf Jahren nur, dass einiges für Radfahrende getan wurde (aber auch von den Radschnellwegen ist weit und breit noch nichts zu sehen).

Und wir neigen nach wie vor zur Konfrontation: Auto gegen Fahrrad gegen Fußgänger, U-Bahn gegen Straßenbahn. Die alten Reflexe leben sofort wieder auf: wer für U-Bahn ist, ist gegen Straßenbahn, wer für Auto ist, ist gegen Radfahrende. Und selbstverständlich auch umgekehrt. Wer sich mal in die entsprechende Twitter-Blase begibt, weiß, was gemeint ist. Ist das zielführend? Wohl kaum. Und so würde man von Verkehrspolitik erwarten, dass sie top-down ein Leitbild entwirft, wie städtischer Verkehr zukünftig organisiert werden soll und was die Prioritäten sind. Daraus leiten sich dann Maßnahmen ab. Klar ist aber: wenn eine andere Aufgabenverteilung („modal split“) politisch gewollt und entschieden ist, werden Autonutzende an der einen oder anderen Stelle, wir möchten das Wort eigentlich nicht verwenden, zu den Verlierern gehören.

Was Mut macht: Unsere Verkehrsforen mit den verkehrspolitischen Sprechern haben gezeigt, dass die Parteiprogramme da eigentlich gar nicht so dumm sind! Angebote statt Verbote, zielbezogene Nutzung der einzelnen Verkehrsmittel. Wenn dann der eine oder andere im Eifer des Wahlkampfs in die alte Kampfrhetorik über die Schikanen gegen Autofahrer (wo sind die eigentlich?) zurückfällt: sei es drum. Das sind die Schlachten von gestern.

Was wir in diesem langen Wahlkampf vermisst haben: eine Ahnung davon, was da eigentlich auf uns zukommt. Schlagworte gab es zuhauf. Aber ein Bild dessen, auf was wir uns mittel- bis langfristig in der täglichen Praxis einzustellen haben? Wenn wir voraussetzen, dass die Wissenschaft mit ihren Prognosen richtig liegt, dann besteht (dringender) Handlungsbedarf. Und das ist weit mehr, als den Verbrenner durch einen Elektromotor zu ersetzen. Wir werden, bei weiterhin steigender Weltbevölkerung, weniger Energie verbrauchen müssen, die wir aber intelligenter erzeugen und speichern. Denn zur Wahrheit gehört auch: unser „westlicher“ Lebensstil ist so ressourcenintensiv und, wenn man ehrlich ist, ungerecht, dass ein „Weiter so“ schwerlich zu rechtfertigen ist. Schon gar nicht gegenüber den Armen und aufstrebenden Mittelschichten der Schwellenländer, die das für sich zunehmend ebenfalls beanspruchen. Und wer von uns könnte ihnen das verweigern?

So endet dieser „Zwischenruf“ jenseits der Verkehrspolitik, aber so ist es nun mal: alles hängt mit allem zusammen. Es war der Versuch, Verkehrspolitik ein wenig weiter zu fassen als das Herunterbrechen auf konkrete Projekte im Sinne von „Baut endlich die Stammbahn als Regionalbahnvariante“. Was allerdings stimmt!

Und es bleiben, natürlich, weite Teile unerwähnt:

Wie kam es eigentlich zur Entscheidung „pro Elektro“ und warum? Wurden Alternativen angemessen diskutiert? Was ist mit der sogenannten Externalisierung interner Kosten (Kosten, die ein Verkehrsträger verursacht, die aber von der Allgemeinheit getragen werden)? Wie können wir Verkehr vermeiden? Wie verknüpfen wir die verschiedenen Systeme besser? Wie können jahrzehntelang entstandene Verkrustungen aufgebrochen und rechtsstaatlich Planungs- und Genehmigungsprozesse beschleunigt werden? Sicher fallen Ihnen spontan noch viele weitere Fragen und Themen ein!

Zum Abschluss noch ein persönliches Wort:

Der Autor fährt ein mit Diesel betriebenes Auto, nutzt regelmäßig öffentliche Verkehrsmittel, geht zu Fuß und fährt (zu wenig) Fahrrad. Er trägt also alles andere als einen umweltpolitischen Heiligenschein und ist ein Beispiel dafür, dass es von der Erkenntnis bis zur Umsetzung ein langer Weg sein kann.

Wir wünschen Ihnen am 26. September eine gute Wahl!


Zwischenruf zum Mauerbau vor sechzig Jahren - und den Folgen bis heute

Schon wieder ein „Zwischenruf“? Nein, das wird nicht zur Gewohnheit!

Eine der beliebtesten VIV-Veranstaltungen war über viele Jahre der „VIV-Lückentest“, den wir immer rund um den 13. August gemacht haben. 13. August? Jahrestag des Mauerbaus und, auf gut bayerisch, heuer sechzig Jahre her – also ein historisches Datum. Das Ende der Teilung liegt mittlerweile allerdings auch fast 32 Jahre zurück, also länger als die Mauer stand.

Und noch immer gibt es im Verkehrsbereich Teilungsfolgen und/oder Merkwürdigkeiten. Wir reden sicher nicht dem Straßenbau das Wort, aber der Teltower Damm jenseits der Goerzallee wirkt so, als sei der Mauerfall gerade erst ein paar Monate her. Chronischer Stau, inklusive der Buslinie X10, die mit dem weiteren Nadelöhr in Zehlendorf Mitte sicher zu den „Problemlinien“ der BVG zählen dürfte.

Die Schienenwege zwischen beiden Stadthälften sowie vom ehemaligen West-Berlin nach Brandenburg sind im Prinzip geschlossen (die Straßenbahn als Sonderthema mal außen vor gelassen) und werden von mindestens einem System (U-Bahn, S-Bahn, Regionalbahn) bedient. Nein, nicht die Potsdamer Stammbahn und auch nicht die Friedhofsbahn. Für den notwendigen Verkehrsbedarf der letzteren zwischen Wannsee und Stahnsdorf braucht man sicher einiges an Phantasie, zumal bei den notwendigen Investitionen. Bei der Stammbahn konnten wir eben erst von den verkehrspolitischen Sprechern lernen, dass inzwischen eigentlich alle für das System „Wechselstrom“, vulgo Regionalbahn, seien. Brandenburg sowieso. Es könnte also entschieden werden, das Projekt endlich zu realisieren.

An der Dresdner Bahn und der Heidekrautbahn wird gebaut – an ersterer intensiv, an letzterer mit „gebremstem Schaum“. Spandau-Falkensee ist, um es positiv auszudrücken, von der Politik als dringender Handlungsbedarf anerkannt. Hier scheint es in irgendeiner Form auf die Maximallösung „S- und Regionalbahn“ hinauszulaufen. Man darf gespannt sein, ob die Chance genutzt und das Falkenhagener Feld mit einem Abzweig auf der Bötzowbahn mit angeschlossen wird.

Wie sieht es aber bei den „einfacheren“ und weniger spektakulären Dingen aus? Zum Beispiel durchgängig zweite Gleise auf den Außenstrecken der S-Bahn?

Bei der S7 nach Potsdam wie auch auf der S1 nach Oranienburg? Beides diente der Fahrplanstabilität; bei der S1 würde ein Zehn-Minuten-Takt nach Oranienburg möglich. Die S25 ist im Süden und im Norden auf weiten Strecken eingleisig, was die Verspätungsanfälligkeit enorm erhöht. Über die Verlängerung in das aufstrebende Velten ist noch immer nicht entschieden. Keine Teilungsfolge, aber dennoch dringend notwendig: das zweite Gleis für die S2 nach Bernau sowie auf der S5.

Die Dresdner Bahn erwähnten wir schon. Erfreulich, dass Brandenburg forsch voranging und die Verlängerung der S2 nach Rangsdorf entschied. Was allerdings ist in die Planer gefahren, beim laufenden Wiederaufbau der Fernbahn die S2 erneut nur eingleisig vorzusehen?

Wir haben also nach wie vor nicht nur Nachholbedarf bei den „Butterprojekten“ Spandau-Falkensee oder Potsdamer Stammbahn. Nein, auch „Brotprojekte“ wie zweite S-Bahngleise auf den Außenstrecken oder weitere Bahnsteigkanten auf dem Ring sind dringend notwendig und haben durch mögliche häufigere Takte und geringerer Störungsanfälligkeit einen hohen Fahrgastnutzen. Der interessierte Laie kann sich fragen: warum dauern diese Maßnahmen so lange? Und vielleicht tut dies manche Fachfrau, mancher Fachmann auch …

Dies umso mehr, als die Pendlerzahl zwischen den Vororten und der Stadt massiv gestiegen ist. Das Berliner Mietniveau und der nach wie vor ungebrochene Trend zum „Häuschen im Grünen“ lassen auch mittel- bis langfristig keine andere Entwicklung erwarten. Und wenn wir diese zusätzlichen Verkehre im Wesentlichen nicht mit dem MIV, Stichworte sind „Klimaschutz“ und „Verkehrswende“, sondern dem ÖV abwickeln wollen, benötigen wir natürlich auch die entsprechenden Kapazitäten.

Berlins Bahn-Chef, Alexander Kaczmarek, formulierte mal sinngemäß und pointiert, manche S-Bahnstrecke sei noch im unmittelbarem Nachkriegszustand, bei dem das zweite Gleis gerade erst als Reparationsleistung demontiert werden musste. Hoffen wir, dass sich das bis zum 13. August 2031 geändert haben wird!


Zwischenruf zur Verkehrswende und einem seltsamen TV-Auftritt

Vergangene Woche, am späten Abend läuft im ZDF „Markus Lanz“. Erster Gast ist der bayerische Ministerpräsident, was immer interessant ist. Zweiter Gast ist dann aber Herbert Diess, seines Zeichens Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG. Und das war nicht minder interessant.

Die Worte „Diesel“ und „Schummeleien“ nimmt der Moderator nur einmal in den Mund, was Herr Diess elegant ignoriert. Er muss noch nicht einmal von der „Dieselproblematik“ sprechen, wie es im VW-Jargon immer heißt. Stattdessen präsentiert sich Herr Diess als „Mr. Elektro“ und, wenn man so will, als deutsches Gegenstück zum Tesla-Chef.

Er schwärmt davon, dass die Elektrifizierung des privaten Autos (und übrigens auch des Lkw) nur der Anfang sei, es stünde eine technologische Revolution bevor: mit selbstfahrenden Autos und einer unfallfreien Zukunft. Er gehe davon aus, dass in Zukunft eher mehr als weniger Autos auf den Straßen seien, weil Bevölkerungsschichten dann auch ein Auto nutzen könnten, denen es heute, z. B. aus gesundheitlichen Gründen, nicht möglich ist.

Das Auto der Zukunft sei komplett umweltfreundlich (Einwände zur Lithium-Gewinnung in Südamerika werden ignoriert) – wenn es denn aus „grünem“, also regenerativ erzeugtem, Strom angetrieben werde. Die für den elektrifizierten Straßenverkehr bereitzustellende Strommenge sei kein Problem, wird behauptet.

In dieser schönen neuen Welt des Automobils tauchen Begriffe wie „Bahn“, „Verkehrswende“ oder „Umweltverbund“ gar nicht auf! Ebenso nicht die zunehmende Versiegelung des Bodens, auch durch Verkehrsflächen, was bei zunehmenden Starkregenereignissen an Brisanz gewinnt.

Nun möchte Herr Diess Volkswagen verkaufen und sein Unternehmen zukunftsfähig darstellen – man muss das alles nicht glauben und schon gar nicht teilen.

Aber eines scheint klar:

Die Verkehrswende ist kein Selbstläufer! Die Unternehmen des öffentlichen Verkehrs werden möglicherweise mehr denn je ihren Finanzierungsbedarf begründen müssen. Der Verzicht auf den Ausbau der sogenannten „Mitte-Deutschland-Verbindung“ ist hoffentlich kein Menetekel (siehe mdr.de/nachrichten/thueringen/bahn-mitte-deutschland-verbindung-100.html).

Dieses einmal nur so – als Zwischenruf.


VIV-Wahlforen

Berlin wählte ein neues Abgeordnetenhaus (AGH). Und damit auch einen neuen Senat. Man musste kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass das Thema „Verkehr“ von zentraler Bedeutung sein würde.

Hitzige Debatten um „Radfahrstreifen“ und „Weiterbau A100“ zeigten aber auch die Bedeutung der Verkehrspolitik. Viele vertraten vehement die Auffassung, dass die Verlagerung vom Pkw zum Fahrrad bereits „die“ Verkehrswende sei. Aber war dem so?

Fast geraten Menschen, die zu Fuß unterwegs sind, und Nutzerinnen und Nutzer des öffentlichen Verkehrs in den Hintergrund, wenn über Alternativen bzw. Ergänzungen zum Auto nachgedacht wird. Und leider war in der Legislaturperiode für den Außenstehenden wenig Erkennbares realisiert oder begonnen worden, was den Bus oder die schienengebundenen Verkehrsmittel betraf. Von großen Infrastrukturprojekten (i2030), überschaubaren Maßnahmen (die kurze U3-Verlängerung um ein paar Hundert Meter) oder auch „demonstrative“ Provisorien zum Nutzen der Fahrgäste (RB 33 nach Zehlendorf oder Steglitz) ganz zu schweigen.

Über konkrete Fragestellungen zu einzelnen Maßnahmen hinaus stellte sich aber auch die grundsätzliche Frage, wie Verkehr in der Stadt zukünftig organisiert werden sollte. Ist der Weg der vergangenen sechzig Jahre, „Vorfahrt für den privaten Autoverkehr“, weiterhin richtig oder bedarf es anderer Schwerpunkte? Und wenn ja, welche und wie ließe sich das umsetzen?

Wir freuten uns deshalb sehr, dass sich verkehrspolitische Sprecher der im AGH vertretenen und verkehrspolitisch relevanten Parteien Zeit nahmen und über die diesbezüglichen Ziele ihrer Parteien berichteten, aber vor allem für Ihre Fragen zur Verfügung standen.

Im Einzelnen hatten wir folgende Termine (jeweils 18:00 Uhr, jeweils eine Stunde) vorbereitet:

  • Henner Schmidt (FDP) am 28.06.2021
  • Harald Moritz (GRÜNE) am 30.06.2021
  • Tino Schopf (SPD) am 07.07.2021
  • Oliver Friederici (CDU) am 14.07.2021 
  • Kristian Ronneburg (LINKE) am 27.07.2021

Nach wie vor pandemiebedingt wurden wir die einzelnen Termine mit ZOOM durchgeführt.

Alle Interessenten hatten die Möglichkeit, den Herren im Vorfeld Ihre Fragen, entweder einzeln oder als Themenkomplex, per E-Mail zu übermitteln. Für kurzfristig auftretende Fragen bestand dann auch im Chat eine Möglichkeit, kurze Fragen schriftlich zu stellen.